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Anne-Marie Lizin Bericht über Guantánamo1 Einführung Auf ihrer Rotterdamer Jahrestagung im Juli 2003 hob die Parlamentarische Versammlung der OSZE (OSZE PV) besonders hervor, dass die Bekämpfung von Terrorismus mit demokratischen Werten und der Achtung der Men-schenrechte in Einklang zu bringen sei. In ihrer dort verabschiedeten „Ent-schließung über die von den Vereinigten Staaten am Stützpunkt Guantánamo festgehaltenen Gefangenen“ äußerte sich die Parlamentarische Versammlung besorgt über den Status der Gefangenen als „unrechtmäßige Kombattanten“. Ein Jahr später brachte sie in der auf ihrer Jahrestagung in Edinburgh ange-nommenen „Entschließung über Folter“ ihre Besorgnis über das Schicksal von Gefangenen u.a. in Guantánamo zum Ausdruck, „die seit Jahren ohne Zugang zu einem Gerichtsverfahren oder Rechtsbeistand in Gewahrsam gehalten werden“. Das zunehmende Interesse von Mitgliedern der OSZE PV an dieser umstrit-tenen Situation und der von ihnen geäußerte Wunsch, eine Delegation von Parlamentariern solle eine Besuchserlaubnis für das Camp erhalten, veran-lassten den damaligen Präsidenten der PV, den demokratischen US-Kon-gressabgeordneten Alcee Hastings, auf der Wintertagung in Wien im Februar 2005 einen Sonderbeauftragten für Guantánamo zu ernennen. Da ich seiner-zeit bereits gewählte Berichterstatterin des Allgemeinen Ausschusses für Demokratie, Menschenrechte und humanitäre Fragen war, wurde ich mit die-ser Aufgabe betraut. Am 4. Juli 2005 legte ich auf der Jahrestagung in Washington einen ersten Bericht vor, in dem ich u.a. die Aufstellung eines Zeitplans für die Schlie-ßung des Gefangenenlagers sowie eine erhebliche Intensivierung und Ver-besserung des Informationsaustauschs und der Zusammenarbeit zwischen den Nachrichtendiensten empfahl. Ende 2005 gaben die US-amerikanischen Behörden meinem wiederholten Antrag auf eine Besuchsgenehmigung statt, erlaubten mir jedoch nicht, direkt mit den Gefangenen zu sprechen. Der Besuch fand schließlich am 3. März 2006 in Begleitung mehrerer Experten und eines Vertreters des Internationa-len Sekretariats der OSZE PV statt. Wir wollten einen Bericht verfassen, der so objektiv, genau und konstruktiv wie möglich war. Diesen Bericht legte ich der OSZE PV am 3. Juli 2006 auf ihrer Jahrestagung in Brüssel vor. Der Beitrag beruht auf dem „Report on Guantanamo Bay“ von Anne-Marie Lizin, der Sonderbeauftragten des damaligen Präsidenten der Parlamentarischen Versammlung der OSZE, Alcee Hastings, vom 30. Juni 2006. Der Bericht – eine Fortschreibung des Berichts vom 4. Juli 2005 – schildert die Situation in dem Gefangenenlager Guantánamo und enthält neue Emp-fehlungen. Er wurde nach dem kritischen Studium zahlreicher Quellen, dar-unter offizielle Berichte der US-Regierung, Medienberichte, Berichte inter-nationaler Regierungsorganisationen und nichtstaatlicher Organisationen so-wie von den Anwälten einzelner Gefangener zur Verfügung gestellte Infor-mationen, erstellt. Ebenso fanden offizielle Gespräche im Außen- und im Verteidigungsministerium in Washington sowie Daten und Fakten, die ich während meines Besuchs im Gefangenenlager Guantánamo im März 2006 sammeln konnte, Eingang in den Bericht. Das Gefangenenlager Guantánamo bereitet spätestens seit Juli 2005 nicht nur Menschenrechtsorganisationen, sondern auch Institutionen wie dem Europa-parlament2 und der Europäischen Kommission Sorgen. Am 27. Februar 2006 wurde der VN-Menschenrechtskommission3 ein von fünf unabhängigen Ex-perten verfasster Bericht zur Situation der Gefangenen in Guantánamo über-geben. Die US-Regierung wurde aufgefordert, zu der Kritik, die von den verschie-denen Organisationen geäußert wurde, Stellung zu nehmen. Ein Gerichtsbe-schluss vom 23. Januar 2006 zwang das US-amerikanische Verteidigungsmi-nisterium im März bzw. April desselben Jahres zur Veröffentlichung der Ver-nehmungsprotokolle und einer Liste, die 558 Namen von Gefangenen ent-hielt. Eine neue Liste mit 759 Namen wurde am 17. Mai 2006 veröffentlicht. Der vorliegende Bericht geht nicht noch einmal auf die rechtlichen Einwände ein, die in zahlreichen Dokumenten bereits ausführlich erörtert wurden. Er enthält im ersten Abschnitt die aus dem Besuch unserer PV-Delegation in Guantánamo im März 2006 hervorgegangen Beobachtungen und Kommen-tare zu den Haftbedingungen, der medizinischen Versorgung der Gefange-nen, den Verhörmethoden und der Qualität der in den Verhören gewonnenen Informationen. Die von den erwähnten Organisationen und von Anwälten einzelner Gefangener erhobenen Vorwürfe hinsichtlich Menschenrechtsver-letzungen und Folter wurden ebenso berücksichtigt wie die Argumente der US-amerikanischen Regierung. Den zweiten Abschnitt bilden die Schlussfol-gerungen und Empfehlungen. Ich habe die Hoffnung, dass die eine oder andere internationale Organisation in den kommenden Monaten die Initiative ergreift und eine aus Rechtsexper-ten bestehende internationale Kommission einsetzt, die die Aufgabe hat, eine mögliche Weiterentwicklung des Völkerrechts in Bezug auf das Problem der Das Europaparlament forderte die Regierung der Vereinigten Staaten am 16. Februar 2006 auf, das Gefangenenlager Guantánamo Bay zu schließen, und drängte darauf, dass alle Gefangenen im Einklang mit dem humanitären Völkerrecht behandelt und unverzüglich in einer fairen und öffentlichen Verhandlung vor ein zuständiges, unabhängiges und unpar- teiisches Gericht gestellt werden. Am 13. Juni 2006 wurde eine neue Entschließung verab- schiedet, die die USA zur Schließung von Guantánamo aufrief. Die VN-Menschenrechtskommission wurde am 15. März 2006 durch den VN-Menschen- „neuen Kategorien von Kombattanten“ und mit Blick auf die jüngsten Ent-wicklungen im internationalen Terrorismus zu prüfen. Der Besuch im Gefangenenlager von Guantánamo: Beobachtungen und Kommentar Der eintägige Besuch im Lager, dessen Genehmigung fast ein Jahr in An-spruch genommen hatte, fand im März 2006 statt. Ihm waren Gespräche im Außen- und im Verteidigungsministerium in Washington vorausgegangen. In Guantánamo konnte die Delegation mit Offizieren jeden Dienstgrades, Wa-chen, Ärzten und Pflegepersonal, Küchenbediensteten, einem muslimischen Militärseelsorger und mit den Vernehmungsbeamten sprechen. Privatgesprä-che mit Gefangenen waren hingegen nicht erlaubt. Die Delegation hatte Zu-gang zu einer Reihe von Unterlagen bezüglich der Leitung und der Infra-struktur des Lagers sowie zu einzelnen Gefangenenakten. Haftbedingungen Nach der Aufdeckung von Misshandlungen in Gefangenenlagern in Afgha-nistan und im Irak wurden strenge Maßnahmen ergriffen, um ähnliche Vor-fälle in Guantánamo zu verhindern. Der zur Zeit des Besuches amtierende Kommandant des Gefangenenlagers, General Jay Hood, erklärte, dass er ganz besonders darauf achte, dass so etwas nicht passiert. Dazu hat er ein Joint Task Force Standardization Team aufgestellt, eine interne Ermittlungsin-stanz, die alle Bereiche ständig überprüft (Verhöre, Sicherheit, medizinische Versorgung, Verpflegung etc.). Der Besuch verschiedener Internierungscamps war in vielfacher Hinsicht aufschlussreich. Nach Aussagen der die OSZE PV-Delegation begleitenden Experten, die schon mehrmals Gelegenheit hatten, Guantánamo zu besuchen, sind die heutigen Bedingungen nicht mehr mit denen von Camp X-Ray, das 2002 als provisorisches Lager errichtet worden war, vergleichbar. Heute äh-neln sie eher denen in gewöhnlichen amerikanischen Gefängnissen. Zur Zeit unseres Besuchs waren laut den Informationen, die wir erhielten, 490 Gefangene in dem Lager interniert. Seit der Schließung von Camp X-Ray gibt es noch fünf Blöcke in Camp Delta (Camp 1, 2, 3, 4 und 5) plus Camp Echo. Ein weiteres Gebäude, Camp 6, wird derzeit in Camp Delta er-richtet. In Camp 1 befanden sich 42 Prozent der Gefangenen, in Camp 2 und 3 ein bzw. zwei Prozent. 39 Prozent befanden sich in Camp 4; in Camp 5 wa-ren die 16 Prozent der Gefangenen untergebracht, die als besonders gefähr-lich gelten. In den stählernen Gefängnisblöcken können 48 Gefangene in Einzelzellen untergebracht werden, die durch dicke, engmaschige Drahtzäune voneinander getrennt sind und besser vor der Sonne schützen als das ursprünglich offene Camp im Jahr 2002. Die Zellen verfügen über ein Minimum an Komfort (fließendes Wasser und Toiletten). Ein auf den Boden gemalter Pfeil zeigt an, in welcher Richtung Mekka liegt. Jeder Gefangene erhält ein Exemplar des Koran in seiner Muttersprache, einen Gebetsteppich, eine Gebetskette, Bett-wäsche, Seife sowie Kleidung und Sandalen. Der Aufruf zum Gebet erfolgt fünfmal am Tag mittels Lautsprecher; an den Gebetsstunden nehmen alle Ge-fangenen teil. Während des Gebets werden in den Gängen des Camps gelbe Kegel aufge-stellt, die die Wachen daran erinnern, ihren Dienst schweigend zu verrichten und die Gebete der Gefangenen nicht zu stören. Die Delegation konnte ein längeres Gespräch mit dem muslimischen Militär-seelsorger des Gefangenenlagers führen, der nach eigenen Angaben häufig Kontakt zu den Gefangenen hat. Er veranstaltet außerdem Kurse für das Mi-litärpersonal zur Einführung in die islamische Kultur. Er scheint darüber hin-aus als eine Art Verbindungsstelle zwischen den Gefangenen und dem La-gerkommandanten zu fungieren. Die Gefangenen erhalten und versenden regelmäßig Post, 2005 insgesamt 18.580 Briefe (entweder mit der normalen Post oder über das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, IKRK). Alle Briefe unterliegen der militärischen Zensur, was zu Beschwerden seitens der Gefangenen und ihrer Rechtsanwäl-te geführt hat. Letztere kritisierten vor allem, dass einige Briefe ihre Empfän-ger entweder gar nicht oder nur mit erheblicher Verspätung erreicht hätten. Im von der Delegation der OSZE PV besichtigten Camp Delta 4, dessen Ma-schendrahtzaun mit grünem Synthetikstoff abgedeckt ist, befinden sich die Räume von zehn Gefangenen, die sich frei bewegen können. Diese – in weiß gekleideten – Gefangenen dürfen miteinander reden und schienen alle eige-nen Beschäftigungen nachzugehen. Sie waren von den Vernehmungsbeamten oder den Wachen ausgewählt worden, da sie sich kooperativ gezeigt hatten. In der Mitte des Camps gab es Fußball- und Volleyballplätze. Das sternen-förmig gebaute Camp 5 machte den Eindruck einer dauerhaften Einrichtung. Die Gefangenen erhalten dreimal täglich Halal-Mahlzeiten. Sie können zwi-schen verschiedenen Gerichten, darunter auch vegetarische, wählen, gesund-heitliche Bedürfnisse werden berücksichtigt. Die Gefangenen in Camp 4 er-halten an bestimmten Tagen zusätzliche Nahrungsmittel. Insgesamt gelten außergewöhnlich scharfe Sicherheitsmaßnahmen, die sich kaum von den in amerikanischen Gefängnissen üblichen Standards unter-scheiden. Das Wachpersonal (Männer und – auffallend viele – Frauen) be-folgt die Sicherheitsanweisungen buchstabengetreu. Anders als in amerikanischen Gefängnissen üblich ist das Wachpersonal in Guantánamo jedoch nicht angehalten, die Gefangenen besser kennen zu ler-nen, sondern darf im Gegenteil mit ihnen nicht verbal in Kontakt treten. Die Kommunikation ist rein dienstlich und beschränkt sich zumeist auf knappe Gesten. Nach Angaben der Lagerleitung sind Wärterinnen und Wärter tägli-chen Beschimpfungen ausgesetzt. Gefangene in orangefarbenen Overalls werden in Ketten von Soldaten mit kleinen Wagen von ihren Zellen in die Verhörgebäude transportiert. Medizinische Einrichtungen und medizinische Betreuung Das Gefangenenhospital ist wie alle Militärkrankenhäuser mit modernen und qualitativ hochwertigen medizinischen Geräten ausgerüstet. Es verfügt über rund 20 Betten, die notfalls auf 30 aufgestockt werden können. Nach Anga-ben der von uns befragten Militärärzte erhalten die Gefangenen dieselbe me-dizinische (und zahnmedizinische) Versorgung wie die auf dem Stützpunkt stationierten Soldaten. Von einigen Gefangenen und ihren Anwälten erhobenen Vorwürfen, medizi-nische oder zahnmedizinische Behandlungen seien zu langsam erfolgt und einigen Gefangenen als Straf- oder Zwangsmaßnahme sogar gänzlich ver-weigert worden, konnte die Delegation nicht nachgehen. Auf Bitten der Delegation der OSZE PV wurden zusätzliche Informationen über medizinische Behandlungen von Gefangenen sowie über aufgetretene Krankheiten zur Verfügung gestellt. Ihnen war zu entnehmen, dass fast 500 Gefangene insgesamt 2.500 medizinische Kontakte im Monat hatten und dass der Zugang zu den medizinischen Einrichtungen des Lagers rund um die Uhr gewährleistet war. Seit 2002 wurden 275 chirurgische – hauptsächlich orthopädische – Eingriffe zur Behandlung von Kampfverletzungen vorgenommen. Gewöhnliche Ope-rationen wie z.B. Blinddarmoperationen, die Behandlung von Leisten- und Nabelbrüchen, Mandeloperationen und die Behandlung von Hämorrhoiden wurden ebenfalls durchgeführt. Chronische Krankheiten wie z.B. Bluthoch-druck, Magen-Darm-Erkrankungen, Diabetes, Erkrankungen der Herzkranz-gefäße und Herzinsuffizienz werden beobachtet. Augen und Zähne werden regelmäßig untersucht. Alle zur Diagnose von Krankheiten notwendigen Untersuchungen – auch solche, die den Einsatz eines CT-Scanners erfordern – werden durchgeführt. Acht Prozent der Lagerinsassen werden von Spezialisten regelmäßig wegen psychischer Störungen beobachtet. Bei 18 Prozent der Gefangenen wurden (im Vergleich zu 20 Prozent der Insassen US-amerikanischer Gefängnisse) Depressionen diagnostiziert. Zwölf Prozent der Guantánamo-Häftlinge haben Angststörungen entwickelt und fast 17 Prozent leiden an Psychosen; der Pro-zentsatz liegt damit deutlich über dem amerikanischer Gefängnisinsassen, von denen rund sechs Prozent an Psychosen leiden. Persönlichkeitsstörungen wurden bei 35 Prozent der Gefangenen festgestellt, was ebenfalls sehr hoch ist. Der Krankenbericht zeigt indirekt, wie stark sich die lange Internierung auf die psychische Verfassung der Gefangenen auswirkt. Folgende Medikamente wurden den Gefangenen im Hospital am häufigsten verabreicht: Antidepressiva, Anxiolytika (Angst lösende Mittel) und Beruhi-gungsmittel wie z.B. Amitriptylin, Benzodiazepine wie beispielsweise Clotiazepam, entzündungshemmende nichtsteroidale Medikamente wie Ibuprofen, Meloxicam (Mobic) und Naproxen (Naprosyn), zur Therapie mittelschwerer bis schwerer Schmerzen geeignete Me-dikamente wie Cyclohexan (Tramadol) sowie Psychopharmaka (eingesetzte Medikamente nicht genannt). Die Apotheke des Hospitals entspricht hinsichtlich der Art der Medikamente und der Bestände voll und ganz derjenigen eines normalen kleinen Kranken-hauses. Nach Informationen von Anwälten des in New York ansässigen Center for Constitutional Rights (CCR), das die meisten der Prozesse wegen der Inhaf-tierung von Gefangenen ohne Gerichtsverhandlung angestrengt hat, sind seit Juli 2005 Dutzende von Gefangenen (210 nach Angaben der Juristen, laut Pentagon 200) als Zeichen des Protests gegen ihre Inhaftierung auf unbe-stimmte Zeit und die Missachtung der Genfer Konventionen abwechselnd in den Hungerstreik getreten. Entsprechend der in amerikanischen Gefängnissen üblichen Praxis werden die Hungerstreikenden mit Infusionen oder Schläuchen ernährt, wenn ihr Zu-stand es erforderlich macht. Einige Quellen geben an, dass sie dabei ans Bett gefesselt werden, andere wiederum berichten, dass ihnen die Wärter zumin-dest eine Hand frei ließen. Die Armee zieht für diese Art der Ernährung der Gefangenen die Formulierung „gegen ihren Willen ernährt“ („fed unvolunta-rily“) statt „zwangsernährt“ („fed by force“) vor. Nach vor Ort eingeholten Informationen wird eine kleine Zahl von Gefange-nen (drei wurden im März 2006 ins Krankenhaus eingeliefert) mithilfe einer durch die Nase eingeführten Magensonde zwangsernährt. Diese Sondenart, von der die Delegation sich ein Exemplar beschaffen konnte, ist identisch mit der, die in Krankenhäusern in der ganzen Welt benutzt wird. Nach Angaben US-amerikanischer Behörden scheinen die meisten der Hungerstreikenden ihre Aktion mittlerweile freiwillig eingestellt zu haben. Einige Angehörige des medizinischen Personals teilten der Delegation vertraulich mit, Gefan-gene hätten sich bei ihnen dafür bedankt, dass sie mit Nahrung versorgt wor-den seien und so einem Hungerstreik entgehen konnten, der ihnen von ihren Anführern aufgezwungen worden sei. Am 6. Oktober 2005 bezeichnete ein Sprecher des Pentagon die Besorgnis der Anwälte als „übertrieben“, da die Gefangenen abwechselnd in den Hun-gerstreik träten. Im März 2006 wurde uns bestätigt, dass es keine Todesfälle gegeben habe, die auf einen Hungerstreik zurückzuführen waren. Erwähnenswert ist, dass ein Team des IKRK, das nicht ständig in Guan-tánamo anwesend ist, das Lager alle sechs Wochen besucht. In der Zeit da-zwischen finden Kurzbesuche statt. Die Mitarbeiter des IKRK sind neben den Rechtsanwälten die einzigen Personen, die direkten Kontakt zu den Gefange-nen haben. Im Oktober 2005 ließ das IKRK den amerikanischen Behörden eine Stel-lungnahme zu den Hungerstreiks zukommen. Es wandte sich darin gegen jede Art der Zwangsernährung und berief sich dabei auf die Deklarationen des Weltärztebundes (World Medical Association/WMA) von Tokio (1975) und Malta (1991), in denen Ärzten untersagt wird, sich an der Zwangsernäh-rung von Häftlingen zu beteiligen. Stattdessen sollen sie den Gefangenen über die manchmal irreversiblen Folgen der Nahrungsverweigerung aufklä-ren. Auch das britische medizinische Wochenmagazin The Lancet verurteilte die Praxis der Zwangsernährung in einer Petition, die von 263 Ärzten aus Groß-britannien, Irland, den USA, Australien, Deutschland, Italien und den Nie-derlanden unterzeichnet wurde. Die Ärzte reagierten damit auf Zeugenaussa-gen ehemaliger Guantánamo-Häftlinge, in denen diese angaben, während ei-nes Hungerstreiks zwangsernährt worden zu sein. Abgesehen von den Hungerstreiks stellen auch andere Aspekte der Inhaftie-rung die Medizin vor ernste ethische Probleme. Nach Berichten mehrerer Menschenrechtsorganisationen, darunter die Physicians for Human Rights, hatten Ärzte, die für die Beratung der Vernehmungsbeamten zuständig wa-ren, bis Juni 2004 Zugang zu den Krankenakten der Gefangenen. Das bedeu-tet, dass sie auch über psychologische Probleme informiert waren und dieses Wissen nutzen konnten. Des Weiteren wurde kritisiert, dass Verhaltensforscher als Berater zur Ausar-beitung der Verhörmethoden hinzugezogen wurden. In einem Bericht des für die Gesundheitsrichtlinien in US-amerikanischen Gefängnissen zuständigen Mediziners wurde der Armee Anfang Juli 2004 empfohlen, die Praxis, hierfür Ärzte und Psychiater heranzuziehen, einzustellen. Zu Beginn des Sommers 2004 stellten mehrere Gefangenenanwälte Strafantrag gegen Ärzte in Guan-tánamo wegen Verstoßes gegen die medizinische Ethik mit der Begründung, sie duldeten ein System, in dem Pfleger Gefangenen Medikamente entzögen, wenn sie nicht kooperativ genug seien. Verschiedene Quellen berichten von rund 40 Selbstmordversuchen in den Lagern seit 2002. Einige der Gefangenen litten bereits vor ihrer Überstellung nach Guantánamo an Verhaltensstörungen. Andere wurden vielleicht unter dem Einfluss der Isolierung, der langen Haftdauer und der häufigen Verhöre zum Selbstmordversuch getrieben. Einige Quellen sprechen davon, dass rund ein Dutzend Selbstmordversuche einem einzigen Gefangene zuzuordnen sind, was die Aussagekraft der Statistik ein wenig in Frage stellt. Bis zum Zeitpunkt unseres Besuchs hatte keiner der Selbstmordversuche zum Tod geführt. Nach Angaben der Anwälte einiger der Gefangenen seien Selbstmordversuche als „manipulatives autoaggressives Verhalten“ neu ein-gestuft worden. Am 18. Mai 2006 sollen vier Gefangene versucht haben, sich das Leben zu nehmen, während einige andere mehrere Wärter angriffen, die dagegen einschreiten wollten. Am 10. Juni 2006 begingen drei Gefangene Selbstmord. Diese ersten drei Todesfälle in Guantánamo zeigen deutlich, dass es dringender als je zuvor nötig ist, die Informationen über die Gründe für die Inhaftierung freizugeben. Seit Ende Mai 2006 beteiligen sich mehrere Dutzend Gefangene an einem neuen Hungerstreik. Verhörmethoden Wie bereits in dem Bericht vom Juli 2005 angedeutet, betrifft der größte Teil der Kritik am Gefangenenlager von Guantánamo sowohl die Haftbedingun-gen als auch die von der US-Armee angewandten Verhörmethoden. Die Kri-tik wurde seit 2002 mehrfach wiederholt – und nicht nur von Menschen-rechtsorganisationen. Im ersten Bericht wurde bereits erwähnt, dass das FBI in einem Bericht vom 10. Mai 2005 angesichts der vom Verteidigungsminis-ter am 2. Dezember 2002 genehmigten und am 16. April 2003 revidierten Verhörmethoden Bedenken geäußert hat. Die US-amerikanischen Behörden haben stets bestritten, dass die Verhörme-thoden zur Informationsgewinnung, einschließlich solcher, die als „aggres-siv“ beschrieben wurden, Folter gleichkämen. Sie räumten jedoch immerhin ein, dass in einer begrenzten Zahl von Fällen Misshandlungen festgestellt und geahndet wurden. Nach offiziellen Angaben wurden über 100 amerikanische Soldaten vor ein Militärgericht gestellt. Die Urteile reichten von der Degra-dierung bis zu einem einfachen Verweis. Laut amerikanischen Quellen wur-den keine ernsteren Strafen gegen Soldaten verhängt, die in Guantánamo Dienst taten. Nach den tragischen Ereignissen des 11. September 2001 wurde in den Ver-einigten Staaten in Regierungskreisen und in der Presse offen über die mögli-che Anwendung von Verhörmethoden diskutiert, die als Folter oder folter-ähnlich betrachtet werden können. Allein die Tatsache, dass es diese Diskus-sionen gab, deutete in dem damaligen emotional aufgeheizten Klima indirekt an, dass Folter nicht länger gänzlich tabu war. Die Diskussionen lösten zwei-fellos negative Reaktionen gegenüber den Vereinigten Staaten aus. Die US-amerikanischen Behörden berufen sich stets auf ihre eindeutige Hal-tung zum Thema Folter. Sie beruhe nicht nur auf dem amerikanischen Straf-recht, sondern auch auf den Verpflichtungen, die im Rahmen von Verträgen zum Verbot der Folter eingegangen wurden.4 Über die Handhabung dieser Verpflichtungen, ja sogar über die Definition von Folter und anderen Formen grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe in Insbesondere das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grau- same, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984, das am 26. Juni 1987 in Kraft getreten ist. Konfliktsituationen herrschte jedoch in den Jahren 2002 und 2003 größte Verwirrung. Hinzu kamen öffentliche Verlautbarungen einzelner hochrangi-ger Politiker, die den starken Wunsch nach Vergeltung erkennen ließen. Diese Fragen standen im Mittelpunkt der Debatte, die am 5. Oktober 2005 im US-amerikanischen Senat stattfand. Am 15. Dezember 2005 akzeptierte Prä-sident George W. Bush den vom republikanischen Senator John McCain im Senat durchgesetzten Zusatz zum Verteidigungsbudget, der Folter und die unmenschliche, grausame und entwürdigende Behandlung von Gefangenen des amerikanischen Verteidigungsministeriums, die unter der Aufsicht und Kontrolle der Regierung der Vereinigten Staaten stehen, weltweit verbietet. Damit wurden das Verbot einer solchen Behandlung kodifiziert und Rege-lungen, die zuvor für Verwirrung gesorgt hatten, geklärt. Dennoch werden immer wieder Vorwürfe laut, Gefangene in amerikanischen Gefängnissen in Afghanistan, im Irak und in Guantánamo würden misshan-delt und gefoltert. Die Anschuldigungen tragen dazu bei, in der Welt ein ne-gatives Bild von den Vereinigten Staaten zu verbreiten. Besonders grausame Bilder wie die im inzwischen geschlossenen Gefängnis von Abu Ghraib auf-genommenen werden weiterhin überall in der Welt gezeigt und nähren die antiamerikanische Propaganda. Kapitel III des VN-Expertenberichts, der der VN-Menschenrechtskommis-sion am 27. Februar 2006 vorgelegt wurde, geht unter der Überschrift „Folter und andere Formen grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Be-handlung oder Strafe“ genauer darauf ein, dass die Behandlung der Gefange-nen von Guantánamo der Definition von Folter, wie sie in den Genfer Kon-ventionen verwendet wird, nahe kommt. Der Expertenbericht stützt sich auf Gespräche mit ehemaligen Gefangenen (vor allem mit solchen, die sich in Großbritannien aufhalten), Angaben von Anwälten, die andere Gefangene vertreten, sowie auf von den amerikanischen Behörden freigegebene Infor-mationen und von ihnen gemachte Angaben. Am 10. März 2006 bestritt die US-Regierung in einem Memorandum in scharfem Ton Punkt für Punkt die Behauptungen der VN-Experten, die sich geweigert hatten, Guantánamo zu besuchen, da ihnen persönliche Gespräche mit den Gefangenen untersagt worden waren. Es sei angemerkt, dass die Misshandlungs- und Foltervorwürfe generell auf den Aussagen einer begrenzten Zahl von ehemaligen Häftlingen, die inzwi-schen freigelassen oder in ihre Heimatländer rückgeführt worden waren und deren Namen wiederholt in einschlägigen Berichten auftauchen, und auf den Aussagen ihrer Anwälte beruhen. Nach Angaben der Experten waren viele der von den Gefangenen gemachten Aussagen nicht zwangsläufig glaubwür-dig. Nach ihrer Entlassung neigen einige Häftlinge aus politischen – und ver-ständlichen – Gründen dazu, mögliche Akte von Misshandlungen zu über-treiben; manchmal lassen sie sich auch kaufen. Außerdem klagen nicht alle Gefangenen über Misshandlungen. Einige afgha-nische Häftlinge haben die USA für die menschenwürdige Behandlung und für die Fürsorge, die ihnen zuteil wurde, für die gute Verpflegung und den relativen Komfort der Zellen, die mit Elektrizität und fließendem Wasser ausgestattet sind, hoch gelobt. Erst kürzlich haben einige freigelassenen Je-meniten eingeräumt, menschenwürdig behandelt worden zu sein. Andere wiederum prangerten barbarische Folterhandlungen an. Insgesamt ist festzuhalten, dass zahlreiche Aussagen übereinstimmen und dass die aggressivsten Befragungstechniken sogar zu einer Debatte innerhalb der US-amerikanischen Streitkräfte geführt haben, wie das Memorandum des Obersten Rechtsberaters der US-amerikanischen Marine, Alberto J. Mora, vom 7. Juli 2004 zeigt.5 Seit dieser Debatte steht Guantánamo im Rampen-licht und Kongressabgeordnete, Journalisten und Anwälte geben sich als Be-sucher die Klinke in die Hand. Erwähnt werden sollte in diesem Zusammenhang, dass die US-amerikani-schen Behörden stets behaupten, zahlreiche Gefangene hätten ein spezielles Training absolviert, in dem sie lernen sollten, Verhören zu widerstehen und Wachen systematisch der Misshandlung und Folter zu bezichtigen. Nach Angaben der Vernehmungsbeamten, mit denen wir gesprochen haben, wurden die aggressivsten Verhörmethoden wie Entzug von sensorischen Rei-zen und Schlafentzug, die Wegnahme von Komfortgegenständen, das Tragen von Kapuzen, erzwungenes Stehen und Liegen in Stresspositionen, völlige Isolation über einen längeren Zeitraum etc. zugunsten gewaltloser und zwangfreier psychologischer Methoden abgeschafft. Die Delegation konnte ein Verhör über eine Videoverbindung mitverfolgen, aber keine Schlussfolgerungen daraus ziehen: Der Gefangene, der in orange gekleidet war, verhielt sich eher passiv, saß auf einem Stuhl und konnte wäh-rend des Verhörs essen und trinken. Die Verantwortlichen in Guantánamo gaben an, dass 125 Gefangene noch brauchbare Informationen geben können und 35 von ihnen regelmäßig be-fragt würden. Die Befragungen werden derzeit von 32 Personen beiderlei Ge-schlechts durchgeführt, die allesamt beim Pentagon unter Vertrag stehen. Je-der Vernehmungsbeamte wird von einem Dolmetscher und einem Analysten begleitet. Die Vernehmungsbeamten wurden im Pentagon ausgebildet. Einige von ihnen verfügen über profunde Kenntnisse der Kultur und der Denkweise der Gefangenen und verstehen oder sprechen Arabisch oder andere Sprachen, die die Gefangenen sprechen. Einige Vernehmungsbeamte gaben an, dass sie durch den Kontakt mit den Gefangenen ihr eigenes Wissen erweitern konn-ten. Die Relevanz der erhaltenen Informationen und der zu ihrer Unterstützung vorgelegten Beweise Hinsichtlich der Qualität der Informationen, die man nach drei oder vier Jah-ren Gefangenschaft bekommt, äußerten sich US-amerikanische Stellen posi- Dies wurde am 27. Februar 2006 von der Zeitschrift New Yorker enthüllt. tiv. Nach Angaben von Vernehmungsbeamten erhielt man noch immer In-formationen aus Afghanistan, dem Irak oder von Geheimdiensten, denen es wohl vor allem zu verdanken ist, dass ein Terrornetzwerk in Italien aufge-deckt werden konnte. In den Informationen taucht manchmal der Name oder Deckname eines Gefangenen auf. Dadurch wird es unter Umständen möglich, einen Gefangenen zu identifizieren und seine Angaben aus zahlreichen Ver-hören, denen er sich seit seiner Ankunft in Guantánamo unterziehen musste, zu überprüfen. Unseren Quellen zufolge werden einige der Gefangenen (die in weiß geklei-deten) heute nur noch selten verhört (in manchen Fällen nur noch einmal im Jahr). Das kann entweder bedeuten, dass ihre Freilassung oder ihre Rückfüh-rung bevorsteht, oder aber dass sie sich in völliges Schweigen zurückgezogen haben. Die US-amerikanischen Behörden heben besonders die Tatsache hervor, dass man aufgrund der seit 2002 in den Verhören gewonnenen Erkenntnisse heute besser versteht, wie terroristische Netzwerke vorgehen, welche Art von Waf-fen sie benutzen, wie sie ihre Mitglieder rekrutieren und wie verzweigt sie sind. Experten zufolge konnte jedoch durch Guantánamo keine erschöpfende Datenbank über Al-Qaida aufgebaut werden. Dasselbe gilt für die Beweisstücke, die der Delegation gezeigt wurden. Ei-nige waren eindeutig (z.B. ein Notebook mit Anleitungen zum Bau von Sprengsätzen, genaue Beschreibungen von Anschlagszielen, gefälschte Aus-weispapiere, Falschgeld etc.), andere waren eher schwach (vor allem die zahlreichen Uhren der Marke Casio F-91W, von denen man weiß, dass sie von Al-Qaida-Mitgliedern benutzt werden) und würden vor einem Zivilge-richt als Beweismittel nicht ausreichen. Ein weiteres Problem sind gleichlau-tende Namen. Einige Gefangene behaupten, irrtümlich festgenommen wor-den zu sein, da ihre Namen mit denen mutmaßlicher Al-Qaida-Mitglieder identisch seien. Andere beteuern ihre Unschuld, obwohl sie sich nach Anga-ben der US-amerikanischen Behörden zur Zeit ihrer Verhaftung im Kampf-gebiet aufhielten. Einstufung der Gefangenen nach dem Grad ihrer Gefährlichkeit Nach Angaben der Lagerleitung zählen knapp 70 Gefangene zur Kategorie der besonders gefährlichen militanten Extremisten. Würde man sie freilassen, würden sie sich dem Dschihad gegen die USA und ihre Verbündeten an-schließen. Von ca. 270 rückgeführten oder freigelassenen Gefangenen wur-den ungefähr 15 wegen erneuter Straftaten und terroristischer Akte wieder gefangen genommen. Laut den US-amerikanischen Behörden rechtfertigt dies die dauerhafte Internierung derjenigen, die eindeutig ihre Absicht be-kundet haben, den Kampf gegen die Vereinigten Staaten und deren Verbün-dete im Falle ihrer Freilassung wieder aufzunehmen. Insbesondere nach Af- ghanistan zurückgeschickte Mitglieder der Taliban sollen häufig wieder ver-haftet worden sein. Die Delegation sah sich die Akten von sieben Gefangenen an, die als gefähr-lich eingestuft wurden. Zu ihnen gehörten ein Taliban-Anghöriger, der Spezi-alausbilder für die Herstellung von Sprengstoff war, ein Mitglied einer af-ghanischen Terrorzelle, das einen Anschlag auf einen Journalisten vorbereitet hatte, sowie mehrere Al-Qaida-Mitglieder, die den Prototyp einer so genann-ten Schuhbombe zur Sprengung von Flugzeugen und eine Haftmine für An-schläge auf Schiffe entwickelt hatten. Genauere Informationen zu anderen Häftlingen erhielten wir nicht. Einige der Gefangenen wurden offensichtlich während ihres langen Gefängnisaufent-halts radikalisiert. Andere, die nach ihrer Freilassung als Helden gefeiert wurden, waren gezwungen, sich dem Dschihad anzuschließen, weil sie sonst für Kollaborateure der Amerikaner gehalten worden wären. Die Einstufung der Gefangenen nach dem Grad ihrer Gefährlichkeit erfolgt ausschließlich durch die Militärbehörden. Unsere Gesprächspartner hoben besonders die Tatsache hervor, dass etliche Gefangene bereits freigelassen oder in ihre Heimatländer zurückgeführt worden seien, dass einige Länder jedoch die Wiederaufnahme ihrer Staatsbürger verweigerten. Die Behörden fürchten vor allem, dass einige der freigelassenen Gefangenen sich Terror-netzwerken anschließen, um ihren Kampf gegen die amerikanischen Streit-kräfte fortzusetzen. Über alternative Lösungen wird offenbar nachgedacht, eine baldige Schlie-ßung der Einrichtung wird jedoch von niemandem in der US-Regierung ge-fordert. Das Außenministerium wünscht die Zahl der Gefangenen so schnell wie möglich zu reduzieren. Präsident Bush erklärte am 7. Mai 2006, er per-sönlich wolle Guantánamo schließen und die Gefangenen vor Gericht brin-gen; allerdings legte er keinen Zeitplan für die Schließung vor und gab auch keine Einzelheiten darüber an, wie sie vonstatten gehen soll. Am 21. Juni 2006 stellte Präsident Bush auf dem EU-USA-Gipfel in Wien erneut fest, dass er „das Lager Guantánamo gerne schließen“ würde und die Vereinigten Staaten die Gefangenen in ihre Heimatländer zurückschicken wollten. Er fügte hinzu, sie würden dort oder in den USA vor Gericht gestellt. Nach offiziellen Angaben befanden sich im Juni 2006 noch 460 Gefangene in Guantánamo (gegenüber 490 im März 2006). Am 23. Januar 2006 wies ein Bundesrichter entsprechend dem Gesetz über die Informationsfreiheit (Freedom of Information Act, FOIA) die US-Regie-rung an, die Identität der in den 558 in Guantánamo geführten Vernehmun-gen erwähnten Gefangenen preiszugeben. Er reagierte damit auf eine von der US-amerikanischen Nachrichtenagentur Associated Press (AP) eingereichte Petition. Das Pentagon musste daraufhin 5.000 Seiten Verhörprotokolle öf-fentlich machen. Die Dokumente enthüllten erstmals die Namen und die Staatsangehörigkeit von 317 Gefangenen. Lediglich die Namen der an den Verhören beteiligten Offiziere waren gelöscht worden. In dem Zusammen- hang sei noch einmal daran erinnert, dass seit der Einrichtung des Lagers im Jahr 2002 insgesamt rund 900 Gefangene dort festgehalten wurden. Bis zum März 2006 hatte das Pentagon weder von einsitzenden noch von freigelasse-nen Gefangenen jemals Namenslisten vorgelegt. Es hatte stets argumentiert, die Geheimhaltung sei notwendig, um das Leben von Gefangenen, die mit den Amerikanern kooperieren, zu schützen und ihre Familien vor Racheakten zu bewahren. 2005 hatte ein Bundesrichter eine Befragung der Gefangenen angeordnet. Je-der Gefangene wurde daraufhin gefragt, ob seine Identität AP gegenüber be-kannt gegeben werden sollte. Von 317 Gefangenen, die einen entsprechenden Fragebogen erhielten, reagierten 202 gar nicht, 63 antworteten mit ja, 17 mit nein und 35 gaben das Formular unausgefüllt zurück. Der Richter beurteilte die Begründung des Pentagon als unzureichend und entschied, dass selbst die 17 Gefangenen, die mit nein geantwortet hatten, kaum erwarten könnten, anonym zu bleiben, nachdem sie bei den Gerichten eine Haftprüfung bean-tragt hatten. Von den Gefangenen, die noch in Guantánamo festgehalten werden, wurde bis heute keiner verurteilt. Lediglich zehn von ihnen, angeklagt wegen Ver-schwörung gegen die Vereinigten Staaten oder Beteiligung daran, wurden dazu vernommen und sollen vor ein besonderes Militärgericht gestellt wer-den, eine so genannte Militärkommission. Die ersten Militärkommissionen wurden durch die Geltendmachung von Rechtsbehelfen durch die Rechtsan-wälte konstant gestört, kein einziges Verfahren wurde beendet. Der Oberste Gerichtshof erklärte die Militärkommissionen am 29. Juni 2006 für rechts-widrig.6 Seit einem Urteil vom 28. Juni 2004, mit dem der Oberste Gerichtshof die Zuständigkeit US-amerikanischer Gerichte für die Überprüfung der Recht-mäßigkeit der Inhaftierung ausländischer Gefangener in Guantánamo bestä-tigte, haben zahlreiche Gefangene Haftprüfungsanträge vor US-Gerichten eingereicht. Sie erhalten regelmäßig (drei- bis viermal pro Jahr) Besuch von ihren zivilen Rechtsanwälten, die in der Regel von einem Dolmetscher be-gleitet werden. Einige Rechtsanwälte hatten bemängelt, dass die lagereigenen Dolmetscher schlecht übersetzt oder – schlimmer noch – die Aussagen ihrer Mandanten verdreht hatten. Am 20. April 2006 veröffentlichte das Pentagon eine Liste mit 558 Namen von Personen, die in Guantánamo einsaßen oder eingesessen hatten. Eine neue Liste mit 759 Namen wurde am 17. Mai 2006 veröffentlicht. Die neue Liste enthält die Namen, die Staatsangehörigkeit, die Identifikationsnummern sowie die Geburtsdaten und -orte von rund 200 Gefangenen, deren Status nicht geprüft worden war, da sie zuvor zurückgeführt oder freigelassen wor-den waren. Erwähnenswert ist, dass sich auf der Liste weder ein bekannter Al-Qaida-Führer befindet, noch der Führer einer bekannten islamischen Ter- Präsident Bush hat im Oktober 2006 ein Gesetz unterzeichnet, das die Einrichtung der Mi- roristengruppe, noch ein Mitglied des Taliban-Regimes, das bis 2001 in Af-ghanistan an der Macht war. Unter den 125 Afghanen, die auf der Liste ste-hen, werden einige nur mit einem einzigen Namen identifiziert („Hafizullah“, „Nasibullah“ oder „Sharbat“). Da es in Afghanistan und Pakistan viele gleichlautende Namen gibt, kann nicht ausgeschlossen werden, dass einige Personen irrtümlich verhaftet wurden oder unter falschem Namen geführt werden. Verschiedene Quellen behaupten, dass einige der Gefangenen vom pakistanischen Geheimdienst verhaftet und dann an die Koalitionsstreitkräfte verkauft worden seien. Nur wenige Gefangenen trugen bei ihrer Verhaftung Waffen. Viele waren lediglich gefangen genommen worden, weil sie in ei-nem Haus wohnten, das mit den Taliban in Verbindung gebracht wurde, oder weil sie für eine Organisation arbeiteten, die mit den Taliban verbunden war. Nach Angaben der US-amerikanischen Behörden sind Verhöre der einzige Weg, die Namen der Gefangenen, die bei ihrer Festnahme zum größten Teil keine Papiere bei sich trugen, herauszubekommen. Sie räumen zwar ein, dass die Liste Fehler enthalten könnte; durch die Verhöre habe man aber wertvolle Informationen über die Strukturen, die Finanzierungskanäle, die Rekrutie-rungsverfahren und die Ausbildungsmethoden von Al-Qaida sowie über NGOs, die Al-Qaida unterstützen, erhalten. Wieder einmal scheint es, dass die US-amerikanischen Geheimdienste bes-sere Ergebnisse hätten erzielen können, wenn sie bereit gewesen wären, ihre Informationen in größerem Umfang – und schneller – mit den Geheimdiens-ten anderer am Kampf gegen den Terror beteiligter Länder auszutauschen. Bereits in meinem ersten Bericht fand die Tatsache Erwähnung, dass zahlrei-che Länder informell Ermittlungsbeamte ins Ausland entsandt hatten, um ei-gene Staatsangehörige zu vernehmen. Die auf diese Weise gewonnenen Er-kenntnisse ermöglichten weitere Ermittlungen, die zu substanziellen Ergeb-nissen führten. Die Kooperation zwischen US-amerikanischen und anderen Geheimdiensten war jedoch häufig unzureichend und erwies sich zuweilen als schwierig. Informationen, die andere Länder zur Verfügung stellten, wur-den von den Amerikanern nicht immer korrekt verarbeitet – wenn überhaupt von ihnen Notiz genommen wurde. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal betonen, wie wichtig die Zusammenarbeit zwischen Geheimdiensten und auf die Bekämpfung von islamischem Terrorismus spezialisierten Polizeistellen ist; dies gilt umso mehr, als es um international verzweigte, komplexe und mobile Gruppen geht. Die amerikanischen Behörden räumen ohne weiteres ein, dass der wahre Nutzen des Gefangenenlagers Guantánamo vielleicht anderswo liegt, wenn es einmal keine brauchbaren Informationen mehr liefert. Tatsächlich haben die Verhöre eine Fülle von unschätzbaren Erkenntnissen über islamischen Ex-tremismus, die Wurzeln des antiamerikanischen Hasses und den Werdegang rekrutierter Terroristen hervorgebracht. Die Joint Task Force Guantánamo des Verteidigungsministeriums ist gewis-sermaßen eine Trainingsstätte für Vernehmungsbeamte und Analysten zur Einübung von Techniken zur Terrorismusbekämpfung. Einige Quellen wei-sen darauf hin, dass Vernehmungsteams, nachdem sie einige Zeit in Guan-tánamo verbracht haben, nach Afghanistan und in den Irak gehen, um dort ihre Arbeit fortzusetzen. Das Lager hat sich so allmählich in ein Ausbil-dungslager für eine Armee verwandelt, die allzu lange die nachrichtendienst-liche Aufklärung ebenso vernachlässigt hat wie das geduldige Studium der Sitten und Gepflogenheiten ihrer Feinde. Wie auch immer – die US-amerikanischen Behörden sind der festen Über-zeugung, dass die fortgesetzte Inhaftierung einer Reihe mutmaßlicher Terro-risten in Guantánamo entscheidend für die Verhütung neuer Anschläge auf die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten im „globalen Krieg gegen den Terror“ ist. Schlussfolgerungen und Empfehlungen Schlussfolgerungen 1. Um die Haltung der US-Regierung zu Guantánamo verstehen zu kön- nen, muss man sich vor Augen führen, welche Bedeutung die am 11. September 2001 auf ihr Territorium verübten Anschläge für die Verei-nigten Staaten haben. Seit jenem Tag befinden sich die USA nach eige-ner Wahrnehmung im Kriegszustand gegen den internationalen Terro-rismus. Die Reaktion der Regierung hat Tradition. Sie ist das historische Erbe des Enemy Alien Act aus dem Jahr 1798, einem Gesetz, das nie aufgehoben wurde. Es ermächtigt den Präsidenten der Vereinigten Staaten, „feindliche Ausländer“, d.h. Staatsbürger eines Landes, das sich mit den USA im Kriegszustand befindet, ohne Haftbefehl in Ge-wahrsam zu nehmen. Das Gesetz fand während der beiden Weltkriege und während des Kalten Krieges Anwendung. Die entsprechenden Be-schlüsse der Exekutive wurden jeweils von der Justiz, einschließlich des Obersten Gerichtshofs, bestätigt. Der Vietnamkrieg markierte einen Wendepunkt. Heute ist die US-Justiz wesentlich kritischer, wie das be-reits erwähnte Urteil des Obersten Gerichtshofs vom Juni 2004 zeigt, das der Auffassung der Exekutive widersprach, die Inhaftierung „feind-licher Kämpfer“ in Guantánamo sei verfassungsgemäß. 2. Der Ausdruck „globaler Krieg gegen den Terror“ ist für viele Experten ein Problem. Er wird lediglich von den USA und einigen anderen OSZE-Teilnehmerstaaten verwendet. In Ländern, die Terrorakte als Straftaten im Rahmen normaler Strafverfahren behandeln, wird er nicht benutzt. Der Gebrauch militärischer Mittel zur Bekämpfung des Terro-rismus wird als überzogen kritisiert; auch wird eingewandt, er ver-schaffe den Dschihad-Terroristen wahrscheinlich größere Legitimität als sie bereits haben. Von welchem Gewaltniveau an kann man über- haupt von Krieg sprechen? Ein Krieg hat zudem einen Anfang und ein Ende und es gibt einen identifizierbaren Feind; das Ende des „globalen Krieges gegen den Terror“ ist dagegen völlig offen. Selbst die US-ame-rikanischen Behörden räumen ein, dass er sich voraussichtlich über Jahrzehnte hinziehen wird. Genau das aber ist der Kern der Frage. Die gesamte rechtliche Argumentation der US-amerikanischen Regierung stützt sich auf den Begriff „Krieg“. 3. Unsere amerikanischen Gesprächspartner hoben mehrfach hervor, dass es sich um einen Krieg sui generis handle, der weder einem klassischen Konflikt gleiche, noch einer Polizeioperation unter Einsatz von Streit-kräften. Terroristische Organisationen agieren vom Territorium souve-räner Staaten aus und können Bedrohungen erzeugen, die bislang nur von Nationalstaaten ausgingen. Unabhängig davon, ob sie sich mit oder ohne Erlaubnis der Staaten auf deren Territorium aufhalten – es ist un-möglich, diese Gruppen von ihren Handlungen abzuhalten: Sie haben nichts zu verlieren und wollen den Ausgangspunkt ihrer Anschläge ver-schleiern. Ebenso unmöglich ist es, mit ihnen zu verhandeln, da sie in der Regel keine Kompromisse anstreben, sondern ihren Gegner ver-nichten wollen. 4. Diese Feststellung wird zwar durchaus akzeptiert; Experten sind aber dennoch der Meinung, dass die terroristische Bedrohung relativiert wer-den müsse. Islamische Terroristen stellen natürlich eine Gefahr dar und sind ein ernst zu nehmender Störfaktor; sie sind aber keine echte Bedro-hung für unsere Zivilisation und unsere Lebensart, solange sie nicht über Massenvernichtungswaffen verfügen. Osama Bin Laden ist zu ei-ner Symbolfigur des salafistischen Dschihad geworden und das Etikett „Al-Qaida“ wurde zur Bezugsgröße für die radikalsten islamischen Elemente in der ganzen Welt. Wenn auch die Zerstörung ihres afghani-schen Zufluchtsortes Osama Bin Laden und seinen Komplizen unbe-streitbar einen schweren Schlag versetzt hat, so hat sie doch nicht zur Ausmerzung der mit Al-Quaida verbundenen Netzwerke geführt. Die Dschihad-Terroristen blieben in der Lage, spektakuläre Aktionen durchzuführen. Die Anschläge in London und Madrid, in Ägypten und auf Bali haben gezeigt, dass kein Land wirklich sicher ist; das gilt ins-besondere dann, wenn die Täter keine direkten Verbindungen zu Al-Qaida haben, sondern lediglich von deren Methoden und von einer Ideologie inspiriert sind, die in bestimmten Kreisen weit verbreitet ist. 5. Eine häufig gestellte Frage ist die nach dem Status der bei einem be- waffneten Einsatz im Zuge des „globalen Kriegs gegen den Terror“ ge-fangen genommenen und in Guantánamo festgehaltenen mutmaßlichen Terroristen. Sie werden von den US-amerikanischen Behörden als „feindliche Kämpfer“ bezeichnet und gelten nicht als Kriegsgefangene; damit fallen sie nicht unter den Schutz der Genfer Konventionen von 1949, was von Menschenrechtsorganisationen scharf verurteilt wird. Im Mittelpunkt der Kritik steht vor allem, dass der Entzug der Freiheit von Kriegsgefangenen und zivilen Gefangenen auf unbestimmte Zeit zur Erlangung von Auskünften mit Artikel 17 Absatz 4 der Dritten Genfer Konvention und mit Artikel 31 der Vierten Genfer Konvention unver-einbar ist. 6. Die US-amerikanischen Behörden verweisen angesichts der Kritik dar- auf, dass die Genfer Konventionen, die kurz nach dem Zweiten Welt-krieg verfasst und seither mehrfach – insbesondere durch die Zusatz-protokolle von 1977 und 20057 – präzisiert wurden, eindeutig festlegen, welche Personen als Kriegsgefangene gelten: 1. Angehörige von be-waffneten Kräften einer am Konflikt beteiligten Partei, ebenso Angehö-rige von Milizen und Freiwilligenkorps, die zu diesen bewaffneten Kräften gehören; 2. Angehörige anderer Milizen und Freiwilligenkorps, einschließlich solcher von organisierten Widerstandsbewegungen, die zu einer am Konflikt beteiligten Partei gehören und außerhalb oder in-nerhalb ihres eigenen Gebietes, auch wenn dasselbe besetzt ist, tätig sind, sofern diese Milizen oder Freiwilligenkorps, einschließlich der or-ganisierten Widerstandsbewegungen, (a) an ihrer Spitze eine für ihre Untergebenen verantwortliche Person haben, (b) ein bleibendes und von weitem erkennbares Zeichen tragen, (c) die Waffen offen tragen und (d) bei ihren Operationen die Gesetze und Gebräuche des Krieges einhal-ten. Das Kernproblem der Debatte besteht demnach in der Frage, ob die Genfer Konventionen und das humanitäre Völkerrecht, die die Be-handlung von im Zuge eines internationalen bewaffneten Konflikts ge-fangen genommenen Personen betreffen, auch für die neue Kategorie der „feindlichen Kämpfer“ gelten. 7. Unbestreitbar bewegt sich diese Frage in einem rechtlich unscharfen Bereich.8 Die Frage, ob die Genfer Konventionen auch für eine interna-tionale terroristische Organisation wie Al-Qaida gelten, ist durchaus le-gitim. Auch ist die Vorstellung, die Organisation sei mit einem Staat gleichzusetzen, nur schwer aufrechtzuerhalten. Bis Oktober 2001 konn-ten die Taliban zwar durchaus als reguläre Streitmacht eines Staates, in diesem Fall Afghanistans, angesehen werden. Das Taliban-Regime ar-beitete jedoch eng mit Al-Qaida zusammen. Die Mitglieder dieser Orga-nisation wiederum stammen aus einer Vielzahl von Ländern und sind darüber hinaus aufgrund der Benutzung unterschiedlicher Namen und gefälschter Papiere auch nur schwer zu identifizieren. Al-Qaida ist in der Tat eine nichtstaatliche Organisation, die nichts mit einer nationalen Befreiungsbewegung zu tun hat. Sie besteht aus einzelnen Zellen und ist in sich ständig verändernden und mobilen Netzwerken ohne feste terri- Die drei Zusatzprotokolle wurden von den Vereinigten Staaten zwar unterzeichnet, aber Siehe hierzu die Stellungnahme der Venedig-Kommission des Europarates vom 17. De- zember 2003 zu einer möglicherweise notwendigen Anpassung der Genfer Konventionen. toriale Stützpunkte organisiert, die sich immer wieder neu bilden, so-bald sie aufgelöst wurden. Al-Qaida kann daher nicht als Vertragspartei der Genfer Konventionen betrachtet werden. Sie erkennt die Abkom-men weder an, noch respektiert sie die von diesen verfochtenen Verhal-tensstandards. Sie verletzt eindeutig die Gesetze und Gebräuche des Krieges, insbesondere indem ihre Operationen sich gegen unschuldige Zivilisten richten. 8. Die US-amerikanischen Behörden haben daher ihrer Auffassung nach das Recht, mutmaßliche Terroristen so lange zu inhaftieren, wie nötig ist, um sich Klarheit über ihre Identität zu verschaffen, insbesondere aber um Beweise dafür zu finden, dass sie einer internationalen terroris-tischen Organisation angehören und eine permanente Bedrohung für die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten darstellen. Eines liegt klar auf der Hand: Seit dem 11. September hat der internatio-nale Terrorismus mit der Entstehung internationaler terroristischer Or-ganisationen, die militärischen Charakter haben, eine beispiellose neue Dimension erlangt. Die Rekrutierung neuer Mitglieder erfolgt grenz-überschreitend. Die Absichten dieser Organisationen sind häufig diffus. Sie schlagen willkürlich zu und greifen in zahlreichen Ländern sowohl individuelle als auch kollektive Ziele an. Ihre unkonventionellen Me-thoden können massenvernichtende Wirkung entfalten. Das Völkerrecht muss sich dieser neuen Situation anpassen und vielleicht ist es sinnvoll, sich Gedanken darüber zu machen, ob in Zukunft nicht zusätzliche In-strumente notwendig sind, diese neuen Bedrohungen des internationalen Friedens und der Sicherheit zu verhüten oder abzuwehren. 10. Auch wenn die Genfer Konventionen nicht auf „feindliche Kämpfer“ anwendbar sind, behalten humanitäres Völkerrecht und Menschenrechte dennoch ihre Geltung – eine Tatsache, die im Übrigen von den US-ame-rikanischen Behörden auch nicht bestritten wird. Letztere weisen, wie bereits erwähnt, die Anschuldigungen wegen Folter und grausamer oder erniedrigender Behandlung zurück. 11. Die US-amerikanischen Behörden behaupten, sie wollten ein große Zahl von Gefangenen so bald wie möglich in ihre Heimatländer zurückfüh-ren. Das wird allerdings dann ein ernsthaftes Problem, wenn diese Län-der ihren Staatsbürgern die Wiedereinreise verweigern oder, noch schlimmer, wenn in ihren Gefängnissen erwiesenermaßen gefoltert wird. So wurden sechs chinesische Gefangene aus der Provinz Xinjiang, die der Minderheit der muslimischen Uiguren angehören, freigelassen und nach längeren Verhandlungen nicht nach China, wo sie mit großer Wahrscheinlichkeit verfolgt worden wären, sondern nach Albanien überführt. Nach uns vorliegenden Informationen werden derzeit mit weiteren Ländern, darunter Saudi Arabien, Bahrain, Kuwait und die Türkei, Verhandlungen über die Rückführung mehrerer ihrer noch in Guantánamo einsitzenden Staatsbürger geführt. Von sechs Gefangenen türkischer Nationalität wurden fünf bereits freigelassen, über die Rück-führung des sechsten, der als „feindlicher Kämpfer“ gilt, wird jedoch noch verhandelt. Am 18. Mai 2006 wurden 15 saudi-arabische Gefan-gene freigelassen und nach Riad zurückgeschickt. Ein Regierungsver-treter in Kabul sagte kürzlich, die USA seien im Begriff 96 afghanische Gefangene aus Guantánamo an Afghanistan auszuliefern, wo sie vor Gericht gestellt würden. 12. In den Vereinigten Staaten wird derzeit auf verschiedenen Ebenen, ins- besondere zwischen dem Außenministerium und dem Pentagon, eine interne politische Debatte geführt. Wie unserer Delegation mitgeteilt wurde, fragen sich offenbar Angehörige beider Behörden mittlerweile, ob das Gefangenenlager überhaupt noch notwendig ist, und sind skep-tisch, wie wirksam es im Kampf gegen den Terrorismus eigentlich sein kann. Die amerikanische Öffentlichkeit scheint darüber zunehmend ge-spalten zu sein. In einer am 11. Mai 2006 vom Meinungsforschungsin-stitut PIPA (Program on International Policy Attitudes) der Universität Maryland veröffentlichten Umfrage waren 63 Prozent der Befragten der Meinung, die Vereinigten Staaten müssten die Gefangenen von Guan-tánamo anders behandeln und die Standards des VN-Menschenrechts-rates einhalten. Auch innerhalb der internationalen Gemeinschaft wer-den immer häufiger Stimmen laut, die die Schließung von Guantánamo fordern. Bundeskanzlerin Angela Merkel und andere politische Führer in Europa haben sich eindeutig in diesem Sinne geäußert. 13. Die Berichterstatterin hat sich in einem Schreiben an die Verteidigungs- minister der Länder gewandt, deren Streitkräfte im Rahmen der ISAF (International Security Assistance Force in Afghanistan) im Einsatz sind, um etwas über das Schicksal von Personen, die möglicherweise während eines militärischen Einsatzes gefangen genommen wurden, in Erfahrung zu bringen. Aus den Antworten ging hervor, dass die meisten Länder offenbar gar keine Gefangenen gemacht haben; einige Länder hätten ihre Gefangenen wiederum den afghanischen Behörden überge-ben. Mehrere Länder haben mit den afghanischen Behörden ein Memo-randum of Understanding abgeschlossen, in dem diese versichern, dass die Gefangenen gemäß den Bestimmungen des Völkerrechts behandelt werden. Unseren Informationen zufolge werden die Gefangenen in der Praxis üblicherweise den amerikanischen Streitkräften übergeben. Die unterschiedlichen Antworten zeigen de facto, dass die Rechtslage be-denklich ist. Auch das unterstreicht noch einmal, dass es dringend ge-boten ist, die Vorgehensweise sowohl unter den NATO-Ländern als auch mit den OSZE-Teilnehmerstaaten, die keine NATO-Mitglieder, aber ebenfalls an der ISAF beteiligt sind, abzustimmen. Empfehlungen Die Berichterstatterin 1. stellt fest, dass das Gefangenenlager von Guantánamo dem Ansehen der Vereinigten Staaten in der Welt nach wie vor schweren Schaden zufügt und dass es ihren Gegnern als Beweis für den Gedanken, der Kampf ge-gen den Terrorismus sei mit Rechtsstaatlichkeit und der Achtung der Menschenrechte unvereinbar, ermöglicht, diesen Kampf abzuwerten; stellt fest, dass die in dem Bericht vom Juli 2005 abgegebenen Empfeh-lungen gewisse Auswirkungen auf die Art und Weise, wie das Lager ge-führt wird, gehabt haben; 3. stellt fest, dass die US-amerikanischen Behörden seit ihrem Besuch in Guantánamo begonnen haben, die Gefangenen als Personen zu behan-deln, die gemäß Artikel 4 der Dritten Genfer Konvention unter deren Schutz fallen, auch wenn ihnen der Status als Kriegsgefangene offiziell vorenthalten wird; 4. nimmt die Veröffentlichung mehrerer Gefangenenlisten durch das US- amerikanische Verteidigungsministerium zur Kenntnis; 5. empfiehlt den US-amerikanischen Behörden, eine größere Anzahl von Gefangenen so schnell wie möglich in ihre Heimatländer zurückzufüh-ren und die Verhandlungen in Fällen, in denen das Herkunftsland eines Gefangenen dessen Wiederaufnahme verweigert, zu beschleunigen; eine solche Weigerung ist insbesondere für Gefangene von Nachteil, deren Freilassung unmittelbar bevorsteht; die Berichterstatterin empfiehlt dar-über hinaus, Gefangene nicht in Länder zurückzuschicken, in denen ih-nen Folter oder eine andere Form von grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung droht; OSZE-Teilnehmerstaaten und NATO-Mitgliedstaaten, deren Staatsangehörige in Guantánamo festgehalten werden, vor, Verhand-lungen – erforderlichenfalls mit Unterstützung entsprechender internati-onaler Organisationen – mit den US-amerikanischen Behörden aufzu-nehmen, um die Rückführung der Gefangenen zu beschleunigen; 7. empfiehlt den US-amerikanischen Behörden, ihre Verpflichtungen hin- sichtlich der im humanitären Völkerrecht vorgesehenen elementaren Garantien zu klären; Gefangene ihren Rechten entsprechend zu behan-deln ist der beste Weg, um zu zeigen, dass der Kampf gegen den Terro-rismus nicht der Achtung der Menschenrechte widerspricht; 8. empfiehlt, zur Verbesserung der Zusammenarbeit im Kampf gegen den Terrorismus eine neue internationale Arbeitsgruppe aus Angehörigen der Geheimdienste und der Polizei der Teilnehmerstaaten zu bilden, die die in Guantánamo erhaltenen Informationen diskutiert und auswertet; empfiehlt den US-amerikanischen Behörden ihr Möglichstes zu tun, um die Freigabe einschlägiger Informationen im Kampf gegen den Terroris- mus zu erleichtern, und sich zu einem Informationsaustausch mit den OSZE-Teilnehmerstaaten zu verpflichten; dies ist seit dem Selbstmord dreier Gefangener am 10. Juni 2006 umso dringender notwendig; 10. empfiehlt die Einrichtung einer aus Rechtsexperten bestehenden inter- nationalen Kommission, die die Aufgabe hat, eine mögliche Weiterent-wicklung des Völkerrechts in Bezug auf das Problem der „neuen Kate-gorien von Kombattanten“ und mit Blick auf die jüngsten Entwicklun-gen im internationalen Terrorismus zu prüfen; die Kommission sollte der Frage nachgehen, ob zusätzliche Instrumente zur Bekämpfung oder Verhütung der neuen Gefährdungen des internationalen Friedens und der Sicherheit notwendig sind; sie sollte angesichts der derzeit herr-schenden rechtlichen und praktischen Unklarheiten insbesondere den internationalen Status von Gefangenen untersuchen, die im Zuge dieser neuen Konflikte gefangen genommen wurden; 11. schlägt vor, dass weitere internationale Missionen, u.a. auch der OSZE, Guantánamo besuchen, um die mit diesem Bericht begonnene Arbeit fortzusetzen; 12. fordert alle betroffenen Länder dazu auf, Gefangenentransferflüge nur in völliger Übereinstimmung mit dem Gesetz durchzuführen; sie schlägt den OSZE-Teilnehmerstaaten außerdem vor, mit den Vereinigten Staa-ten und der Europäischen Union einen Dialog aufzunehmen, um Län-dern zu helfen, die den Kampf gegen den Terrorismus unterstützen und in deren Gefängnissen die Sicherheit noch verbessert werden muss; 13. nimmt zur Kenntnis, dass der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staa- ten am 29. Juni 2006 den Plan der US-amerikanischen Regierung, Guantánamo-Gefangene vor besondere Militärgerichte, so genannte Militärkommissionen, zu stellen, mit dem Urteil, die Kommissionen seien nicht durch Bundesgesetze anerkannt und verstießen gegen das Völkerrecht, zurückgewiesen hat; 14. sie empfiehlt ihren obigen Ausführungen folgend den US-amerikani- schen Behörden, schnellstmöglich die Auflösung des Gefangenenlagers Guantánamo anzukündigen, indem sie bereits im Juli 2006 einen präzi-sen und detaillierten Zeitplan für die Rückführung der Gefangenen und für die praktischen Modalitäten der Schließung vorlegen. Nach Ansicht der Berichterstatterin wäre ein Plan, der dafür einen Zeitraum von Juli 2006 bis spätestens Dezember 2007 ins Auge fasst, realistisch.

Source: http://ifsh.de/file-CORE/documents/jahrbuch/06/Lizin-dt.pdf

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