Geschichte der Psychopharmaka In den fünfziger Jahren kamen die ersten chemisch entwickelten Psychopharmaka in psychiatrischen Kliniken zum Einsatz, zunächst in ihren "Entdeckerländern" Frankreich und der Schweiz. In Frankreich wurde das Chlorpromazin entwickelt, das man 1953 in Deutschland unter dem Namen "Megaphen" einführte, vorerst nur zur Herstellung eines "künstlichen Winterschlafes" und zur Verstärkung von Narkosemitteln, dann aber schon bald zur Behandlung von schizophrenen und manischen Patienten. Megaphen war damit der erste Vertreter der chemisch synthetisierten ("synthetischen") Psychopharmaka im allgemeinen und der Gruppe der "Neuroleptika" im besonderen. Es hat heute nur noch historische Bedeutung und wird wegen seiner unerwünschten Nebenwirkungen als Medikament nicht mehr eingesetzt, weil es inzwi- schen bessere gibt. Damals bedeutete die Verwendung dieser Substanz in der Psychiatrie jedoch eine Revolution! 1957 wurde in der Schweiz die antidepressive Wirkung von Imipramin entdeckt, das als Tofranil noch heute in der Behandlung von Depressionen Verwendung findet. Es dauerte verständlicherweise einige Zeit, bis diese Me-dikamente Einzug in alle psychiatrischen Krankenhäuser fanden. So habe ich 1961, als ich mein erstes Pflegepraktikum für das Medi-zinstudium in einer psychiatrischen Anstalt
absolvierte, noch gerade eine Psychiatrie erlebt, wie wir sie heute, 40 Jahre nach der Einführung der Psychopharmaka, nicht mehr kennen. Extrem auffällige Verhaltensweisen habe ich in dieser "Übergangsphase" zur Ära der Psychopharmaka- Psychiatrie noch selbst erleben können, z.B. stundenlanges Stehen in bizarrer Haltung auf einem Fleck, massive sexuelle Enthemmung (permanente Masturbation vor den Mitpatienten), autoaggressive Akte (Selbstverstümmelung) und fremdaggressive Durchbrüche (der Versuch, den Pfleger zu erwürgen) sowie Erregungszustände, in denen der Kranke alle Fensterscheiben seines Zimmers zerschlug, den ganzen Körper mit Kot einschmierte und sich schließlich unter der Bettdecke verkroch. Ich berichte hier über meine frühen Erfahrungen mit der Psychiatrie, um verständlich zu machen, wie sehr sich das Bild der psychiatrischen Anstalten, Kliniken und Abteilungen seit der Einführung der Psychopharmaka zum Positiven verändert hat. Ich betone das so ausdrücklich, weil es immer noch oder immer wieder kritische Stimmen gibt, die vor den negativen Effekten der Psychopharmaka warnen, so als gebe es in der Psychiatrie eine Alternative zu diesen Medikamen- ten. Euphorisieren Psychopharmaka? "Künstliche Freuden" hieß das Buch eines amerikanischen Suchtforschers, Joel Fort (#), das ich 1970 erstmals durcharbeitete, als ich - inzwischen wissenschaftlicher Assistent an einer
psychiatrischen Universitätsklinik und Stationsarzt einer geschlossenen Männerstation - mit einem ganz anderen Problem konfrontiert war, nämlich dem Beginn der Drogenwelle in der Bundesrepublik. Wir waren damals noch sehr unerfahren auf diesem Gebiet, und so landeten die jungen Konsumenten harter Drogen auf den "normalen" geschlossenen Psychiatrie-Stationen, auf denen wir Schizophrene, Depressive, Epileptiker und Alkoholiker gemeinsam zu be-handeln versuchten (#). "Künstliche Freuden" ist also ein Ausdruck, der im Zusammenhang mit "bewußtseinsverändernden Drogen" gebraucht wurde, weil alle Psychodrogen in erster Linie eines gemeinsam haben: die Erzeugung von "Euphorie". Eu-phorie bedeutet - wörtlich übersetzt - "leicht zu tragen, geduldig" (#). Wir meinen mit Euphorie aber kein "normales" sorgloses oder fröhliches Gestimmtsein aus einer guten Laune und angenehmen Gesellschaft heraus, sondern eine bereits inad- äquate Stimmungssteigerung, die eigentlich nicht paßt zu der Situation des Betreffenden, die durch Krankheit, Elend oder Bedrohung geprägt ist. Es wird deutlich, daß die gehobene Stimmung nicht aus dem eigentlichen "Kern" dieses Men- schen kommt, daß sie nicht "echt", sondern "gekünstelt" ist: "künstliches Glück" eben! In eine Euphorie kann sich ein Mensch einerseits willentlich versetzen. Sie kann andererseits bedingt sein durch eine Krankheit des Gehirns, z.B. eine Stirnhirnatrophie, für die eine
läppisch-euphorische Stimmungslage charakteristisch ist ("Stirnhirnatrophie" bedeutet einen Untergang von Zellen bevorzugt im Stirnhirnbereich, dessen Intaktheit gerade für die ethisch-moralischen Verhaltensweisen des Menschen eine Voraussetzung ist.) (#) Bei der
Manie stellt die Euphorie eines der wesentlichen Symptome dar ( s. S. ###). Am häufigsten aber entstehen euphorische Zustände durch Drogen (engl.: drugs), wobei mit Abstand an erster Stelle der Alkohol genannt werden muß. Alkohol, die meistgebrauchte Droge Der Alkohol als gesellschaflich akzeptierte und geförderte Droge ist ja eben deshalb so beliebt, weil er euphorisch macht und Sorgen und Ärger vergessen läßt ("Schütt' die Sorgen in ein Gläschen Wein."). Das Problem aber ist die "Suchtpotenz" dieser Droge mit der Folge, daß wir ca. 2,5 Millionen Alkoholiker in der Bun- desrepublik zählen, die wohl noch häufigeren Fälle von "Alkoholmißbrauch" nicht mitgerechnet. Es folgen dann, wenn man Medikamente zunächst unberücksichtigt läßt und die "Nikotinsucht" wegen ihrer Besonderheiten ausklammert, die "Rauschgifte" im engeren Sinne, also Ha- schisch und Marihuana (die "weichen Drogen"), LSD und LSD-ähnlich wirkende Drogen (chemisch synthetisiert) sowie die harten Drogen wie
Morphium, Opium, Cocain und Heroin. Neben Alkohol und den Drogen im engeren Sinne werden noch die "Aufputschmittel" (Psychostimulantien) zu den Psychodrogen ge-
rechnet. Das sind die sogenannten "Weckamine" mit einer primär anregenden (stimulierenden), sekundär aber auch euphorisierenden Wirkung, wie z.B. Captagon, Pervitin und Tradon. Bevor man ihre "Suchtpotenz", also ihre Fähigkeit süchtig zu machen, erkannte, wurden sie oft als "Appetitzügler" genommen oder in Examenssi- tuationen eingesetzt, um mit ihrer stimulierenden Wirkung die Nächte durcharbeiten zu können. Ihr Einsatz zu diesen Zwecken ist höchst problema- tisch und gefährlich, da sich sehr schnell eine Sucht entwickeln kann. Auch die Provokation einer "psychotischen Entgleisung" (das heißt, die Auslö- sung einer Psychose) ist durch diese Mittel mög- lich. Heute unterliegen sie dem Betäubungs- mittelgesetz, um Mißbrauch zu verhindern. Dennoch sind die Weckamine als Medikamente anzusehen, im Unterschied zu den zuvor genannten Drogen: Medikamente, die - wenn auch selten und dann sehr vorsichtig - ärztlich ver- ordnet werden können, z.B. zur Behandlung einer krankhaften Schlafneigung, der Narkolepsie. Doch selbst bei dieser Indikation stellen die Psy- chostimulantien erst die letzte Möglichkeit ("ultima ratio") dar. Machen Psychopharmaka süchtig? Alle genannten "drugs" sollen "künstliches Glück" erzeugen, bewußtseinserweiternd oder bewußtseinsverändernd wirken, und sie sollen euphorisieren. Hierin unterscheiden sich nun Drogen grundsätzlich von den Psycho- pharmaka, um die es in diesem Vortrag geht.
Das Ziel der auf die Psyche einwirkenden Medikamente ist die Besserung oder Behebung von Zuständen krankhafter Art, die Befreiung von Symptomen wie Angst, Depression, Unruhe, Wahn, Halluzinationen oder Schlaflosigkeit. Nicht angestrebt wird die Erzeugung von Euphorie im Sinne eines unnatürlich gesteigerten Wohlbefin-dens. Diese Gefahr besteht bei einigen Psycho-pharmaka, wie Sie noch hören werden, sehr wohl, bei anderen weniger oder gar nicht. So läßt sich beispielsweise die ausgeglichene Stim-mung eines psychisch Gesunden durch antidepressive Medikamente nicht verbessern, das heißt, die Antidepressiva euphorisieren nicht, sondern können lediglich eine depressiv gesenkte Stimmung normalisieren. Sie machen - wohl deshalb - auch nicht süchtig; eine Erfahrung, die wir dem depressiven Patienten, der dringend medikamentös behandelt werden sollte, immer und immer wieder versichern und überzeugend darlegen müssen. Wenn ein Patient von seiner Depressivität, seiner Unruhe, seinem Grübeln, seinen Ängsten und seinen Schlafstörungen durch das Medikament befreit wird, so kann er "reaktiv" darüber sehr glücklich sein (Goethe: "Niemand genießt wie der Genesende"). Das aber ist keine Euphorie, sondern eine normale Reaktion auf das bessere Befinden. Setzt dieser Patient das Medikament ab und treten die alten Symptome (Depressivität, Unruhe, Grübeln, Angst, gestörter Schlaf) danach wieder auf, dann ist das nicht, wie gelegentlich
befürchtet wird, ein Hinweis darauf, daß er nun von dem Medikament "abhängig" ist, sondern das Wiederauftreten der Symptome zeigt lediglich, daß die depressive Phase noch nicht abgeklungen ist, das Antidepressivum also zu früh abgesetzt wurde. So zumindest würden wir es bei einer
endogenen Depression sehen, die in erster Linie einer medikamentösen Therapie bedarf. Wenn es bei einer neurotischen Depression nach Absetzen der Medikamente zu einer Verschlechte-rung der Symptomatik kommt, würde dies darauf hinweisen, daß die psychotherapeutische Behandlung noch nicht ausreichend erfolgreich war. Mit Abhängigkeit oder Gewohnheitsbildung hat das nichts zu tun. Man muß unbedingt unterscheiden zwischen Symptomen der zugrundeliegenden Krankheit (z.B. der Depression) und den Symptomen, die nach einer Suchtentwicklung durch den Entzug entstehen. Das ist zugegebenermaßen manchmal nicht leicht. So werden etwa die klassischen Beruhigungsmittel, die sogenannten "Tranquilizer", bevorzugt bei Angst- und Unruhezuständen, wie auch bei Schlafstörungen eingesetzt. Sie wirken in der Regel recht prompt, machen aber auch schnell abhängig. Wenn diese Medikamente abgesetzt werden, vor allem wenn man dies abrupt tut, treten die Symptome, deret-wegen das Präparat genommen wurde (Angst, Unruhe, Schlaflosigkeit), oft in sogar verstärkter Form wieder auf. Es ist nun sehr schwierig zu erkennen, ob hier lediglich die alten Beschwerden
wieder zum Vorschein kommen oder ob es sich schon um eine Entzugssymptomatik handelt. Je stärker die Beschwerden sind und je länger das Präparat genommen wurde, umso wahrscheinlicher ist die Annahme einer bereits eingetretenen Gewohnheitsbildung oder Sucht. Die Angst des Patienten vor Gewöhnung und Sucht ist ja im Grunde etwas durchaus Positives. Ich denke, gerade sie schützt ihn am besten vor dieser Gefahr. Etwas überspitzt ausgedrückt: Je größer die Angst vor Abhängigkeit, um so geringer die Gefahr! Das erlebe ich in der Praxis täglich: Patienten, die große Angst vor der Einnahme medizinisch notwendiger und hinsichtlich der Suchtentwicklung unproblematischer Medikamente haben, geben einem als Arzt die Gewißheit, daß gerade sie keine Sucht entwickeln würden. Denn Sucht entsteht nicht aus der Droge allein, sondern Sucht ist abhängig von drei Faktoren:
Droge, Persönlichkeit und Umwelt.
Persönlichkeit Umwelt
Die Droge bzw. das Medikament kann eine starke oder gar keine "Suchtpotenz" besitzen. Die typischen Herzmittel beispielsweise besitzen keinerlei Suchtpotenz. Heroin hat dagegen eine sehr hohe suchtfördernde Wirkung. Das heißt, man muß davon ausgehen, daß der Konsum von Heroin bei jedem Menschen (Persönlichkeit) und in jeder Lebenssituation (Umwelt) letztlich zur Sucht führt. Beim Alkohol, der auch ein hohes Abhängigkeitspotential besitzt, liegen die Verhält- nisse schon etwas anders: Die meisten Menschen in unserem Kulturkreis nehmen Alkohol in irgendeiner Form zu sich. Sie trinken aus Genuß, aus Geselligkeit, zur Erleichterung oder wegen irgendwelcher Konflikte; aber nur wenige von ihnen (allerdings immer noch zu viele!) werden süchtig im Sinne einer eigentlichen Alkoholkrankheit. Das bedeutet in bezug auf unser Schema, daß die Droge Alkohol zwar eine Suchtpotenz besitzt, sich aber nur bei Vorliegen bestimmter Persönlichkeitszüge oder - störungen tatsächlich eine Sucht entwickelt. Schließlich kann auch die soziale Situation (z.B. Belastung durch Arbeitslosigkeit) verantwortlich dafür sein, daß aus dem "Genußmittel" ein "Suchtmittel" wird. Ein selbstbewußter, "ich-starker" Mensch ist durch den Verlust seines Arbeitsplatzes weniger gefähr- det, in den Alkoholmißbrauch abzurutschen, als jemand mit einer neurotischen Identifikationsstörung, der zu Abhängigkeiten und
Minderwertigkeitsgefühlen neigt. Das heißt, Per-sönlichkeitsstruktur und soziale Situation, die
"psycho-sozialen Faktoren;, kommen der vorhandenen Suchtpotenz der Droge entgegen, und so kann eine Suchtkrankheit entstehen. Wenn ein Medikament kein Abhängigkeitspotential besitzt (wie es z.B. für die Antidepressiva gilt), fällt die Gefahr vonseiten des Medikamentes weg. Ist der Patient kritisch eingestellt gegenüber Ab- hängigkeiten und Medikamentenkonsum schlechthin, dann verringert sich die Wahr- scheinlichkeit einer Suchtentwicklung selbst bei Medikamenten mit Suchtpotenz. Ich kenne Pati- enten, die sogar mit den suchtgefährdenden Beruhigungsmitteln der Valium-Abkömmlinge umgehen können, ohne abhängig zu werden. Systematik der Psychopharmaka Ich habe bereits mehrere Psychopharmaka erwähnt und möchte nun zum besseren Verständnis eine Übersicht bringen, welche Medikamente dazu zählen und wie man ihre große Vielzahl in eine Ordnung bringen kann. Diese läßt sich relativ einfach herstellen, indem man drei große Gruppen unterscheidet: Weitere Gruppen, die zu den Psychopharmaka gezählt werden, wie z.B. die anregenden "Psychostimulantien" und die den Hirnstoffwechsel unterstützenden "Neurotropika", will ich hier nicht weiter berücksichtigen.
Sie ersehen aus dem Schema, daß die Bezeichnung "Psychopharmaka" ein Oberbegriff ist, zu dem drei verschiedene Medikamentengruppen gehören, nämlich die
Tranquilizer (Beruhigungsmittel), die Neuroleptika (antipsychotischen Wirkstoffe) und die Antidepressiva oder Thymoleptika (stimmungsaufhellenden Medikamente). Es ergibt so gesehen also keinen Sinn, die Psychopharmaka grundsätzlich abzulehnen oder gar zu verteufeln, wie es z.B. der "Spiegel" bereits 1980 mit einer Titelgeschichte tat ("Pillen in der Psychiatrie. Der sanfte Mord") und damit zur Verunsicherung unserer Patienten beitrug (#). Der Mainzer Psychiatrieprofessor O. Benkert beklagt in dem Vorwort zu seinem 1996 erneut aufgelegten Lehrbuch der "Psychiatrischen Pharmakotherapie" die nach wie vor gegebene Ablehnung der Psychopharmaka in breiten Kreisen der Bevölkerung und in den Medien. Den Gründen dafür wurde sogar in einer wissenschaftlichen Untersuchung nachgegangen ("Mainzer Studie") (#). Er schreibt: Es wird großer Anstrengungen bedürfen, um die verständlichen rationalen Ängste über psychische Erkrankungen und über Psychopharmaka weiter zu analysieren und sie einer Lösung näherzubringen. Wie wir den irrationalen Ängst in der Bevölkerung und ihrer Einstellung zu Psychopharmaka entge-gentreten sollen, bleibt allerdings noch völlig un-klar." (#) Wegen solcher "Widerstände" gegen die
Behandlung mit Wirkstoffen, die ja unser seelisches Befinden nicht nur verändern (was die Angst ausmacht!), sondern bessern sollen, werden an der Tannenwaldklinik regelmäßig Patientenvorträge wie dieser gehalten. Ängste und Vorurteile mit sachlicher Argumentation abzubauen ist ja nicht nur Informationsver-mittlung, sondern stellt grundsätzlich eine der Voraussetzungen beim Einsatz von Psychopharmaka dar, weil allein ein derartiger Widerstand den möglichen Therapieerfolg in vielfältiger Weise blockieren kann. Da sich dieser Vortrag nicht an Fachleute wendet, sondern an Zuhörer oder Leser ohne pharmakologische Kenntnisse, möchte ich chemische Bezeichnungen weitgehend vermeiden. Dies bedeutet, daß ich nicht die chemischen Wirkstoffe anführe, sondern auf die im Handel befindlichen Präparatenamen der Fertigarzneimittel zurückgreife, die allerdings sehr verwirrend sind. Denn die verschiedenen pharmazeutischen Unternehmen stellen vielfach dasselbe Medikament her, geben ihm aber jeweils einen eigenen Namen. Das kann den Laien verun-sichern. Dennoch habe ich bei meinen Vorträgen die Erfahrung gemacht, daß es für den Patienten aufschlußreich ist, wenn er "sein" Medikament in einer bestimmten Stoffgruppe "wiederfindet". Aus Gründen der Übersichtlichkeit konnte ich nicht alle Präparate auffführen, die es auf dem Markt gibt. Es handelt sich also um eine subjektive Auswahl der mir persönlich geläufigsten Psychopharmaka ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Sie sagt auch
nichts aus über Qualität, Wirksamkeit oder Verträglichkeit der erwähnten oder nicht erwähnten Arzneimittel. Die drei Gruppen von Psychopharmaka, nämlich die Tranquilizer, die Neuroleptika und die Antidepressiva, haben sehr unterschiedliche Einsatzgebiete ("Indikationen") und müssen hinsichtlich ihrer erwünschten Wirksamkeit und unerwünschten Nebenwirkungen sehr differenziert beurteilt werden, so daß auch deshalb Pauschal- Urteile sachlich nicht zu vertreten sind. Wir wollen uns nun mit jeder Untergruppe einzeln beschäfti- gen und beginnen mit den als besonders proble- matisch einzustufenden Beruhigungsmitteln. Die Tranquilizer Die typischen Vertreter der Tranquilizer sind die sogenannten "Benzodiazepine", deren erstes Präparat 1960 als Librium auf den Markt kam, dem bald das Valium folgte, welches in den 70er Jahren zum meistverordneten Medikament überhaupt wurde. Valium und seine chemischen Abkömmlinge, die heute etwas salopp auch "Benzos" genannt werden, zeichnen sich durch eine sehr gute Verträglichkeit sowie stark beruhi- gende, angstlösende und muskelentspannende Wirkung aus. Sie waren darin allen anderen Psychopharmaka überlegen und lösten Substanzen mit starken und schädlichen Nebenwirkungen ab, wie z.B. die als Schlafmittel bis dahin verwendeten Barbiturate. Das erklärt den Siegeszug der "Benzos" auf der ganzen Welt. Ihre Verordnung war problemlos und ihre Wirkung
so überzeugend, daß sie zunehmend kritiklos verschrieben wurden. Erst allmählich lernte man, daß mit ihnen eine erhebliche Suchtgefahr verbunden ist. Deshalb werden sie heute wie- derum von manchen Menschen extrem negativ gesehen, wobei vergessen wird, daß sie bei be- stimmten Störungen (starke Unruhe, Angst, schwere Schlafstörungen) nach wie vor indiziert und unverzichtbar sind. Ihre Verordnung muß aber kritisch, in möglichst niedriger Dosierung und zeitlich begrenzt erfolgen, maximal drei bis sechs Monate. Spätestens nach Ablauf dieser Zeit muß man den Tranquilizer ausschleichend (nicht abrupt) absetzen. Es ist von der pharmazeutischen Industrie immer wieder versucht worden, das Benzodiazepin- Molekül chemisch so zu verändern, daß entweder die Schlafförderung besonders ausgeprägt ist oder umgekehrt diese müdemachende Wirkung (die "Sedierung") ganz in den Hintergrund tritt, damit die Substanz als sogenannter "Tagestranquilizer" eingesetzt werden kann. Infolgedessen ist eine große Zahl von Präparaten durch leichte Abwandlungen der chemischen Struktur entstanden, deren bekannteste Vertreter ich nachfolgend zusammengestellt habe (Angabe der Handelsnamen in alphabetischer Reihenfolge ohne Anspruch auf Vollständigkeit): Mittellang wirksame Benzodiazepine (6- 24 Stdn):
Adumbran, Bromazanil, Gityl, Lexotanil, Noctazepam, Normoc, Oxazepam, Praxiten, Sigacalm, Tafil, Talis, Tavor, Tolid, Trecalmo
Langwirksame Benzodiazepine (> 24 Stdn):
Demetrin, Diazepam, Frisium, Librium, Multum, Tranquase, Tranxilium, Valium
Trotz Suchtgefahr unentbehrlich! Zusammenfassend möchte ich noch einmal betonen: Die heute so umstrittenen Tranquilizer wurden zu einem Problem und fanden ihre Grenzen paradoxerweise auf Grund ihrer hervor-ragenden Wirksamkeit und sehr guten Verträg-lichkeit. Es waren also ihre Vorzüge, die zu einer kritiklosen und unverantwortlichen Ausweitung der Verordnung von Valium und seinen Derivaten geführt haben (130 Millionen DM Jahresumsatz in Deutschland!). Nach wie vor aber kann und sollte man auf diese Substanzgruppe nicht verzichten. In manchen Fällen können sie lebensrettend wirken (z.B. bei akuter Suizidalität oder schweren Erregungszuständen, übrigens auch bei organi-schen Notfällen, wie dem Herzinfarkt). Für die Behandlung von schizophrenen Psychosen und Depressionen sind sie nicht geeignet, höchstens vorübergehend begleitend. Ihre Domäne sind
Angst- und Unruhezustände sowie Schlafstörungen, die man - zeitlich begrenzt -
mit ihrer Hilfe gut beeinflussen kann. Das Behand-lungsziel muß aber sein, sie nach Beseitigung der eigentlichen Krankheitsursache (z.B. durch Psychotherapie) möglichst bald wieder abzusetzen. Nicht ganz selten beruhigt es den Patienten schon, wenn er weiß, womit er sich im Notfall helfen kann. Er hat dann meist "zur Sicherheit" eine Tablette "bei sich", die er aber nur selten wirklich einnehmen muß. Das bedeutet zwar eine gewisse
seelische Abhängigkeit (von dieser Absicherung), die aber eher harmlos ist und toleriert werden kann. Die Neuroleptika Kommen wir zur zweiten Gruppe der Psychopharmaka: Die Neuroleptika werden auch als "Antipsychotika" bezeichnet, weil ihre wichtigste erwünschte Wirkung eine "antipsy- chotische" ist, d.h. diese Substanzen sind in der Lage, psychotische, insbesondere schizophrene Symptome wie Sinnestäuschungen (Halluzinationen), Wahnerleben und Denkstö-rungen positiv zu beeinflussen. Daneben besitzen sie auch eine dämpfende Wirkung auf psychomotorische Erregtheit, aggressives Verhalten und affektive Spannungen (z.B. ängstli-che Gespanntheit bei einem akut schizophrenen Patienten). Die Neuroleptika sind es, welche die schon anfangs erwähnte grundlegende Veränderung der Situation des psychiatrischen Patienten bewirkt haben. Mit ihrer Entwicklung war es erst-
mals möglich, die schweren Symptome schizophrener und manischer Patienten so zu bes- sern, daß eine Eingliederung des Kranken in Klinik, Familie oder gar Beruf möglich wurde. Die Bedeutung dieses "epochalen Wandels" in der Psychiatrie kann nicht überschätzt werden. Im Laufe der letzten 40 Jahre sind zwar weitere neuroleptische Substanzen entwickelt worden, das Behandlungsprinzip der akuten und chronischen Psychosen mit Hilfe der Neuroleptika hat sich in dieser Zeit hingegen nicht verändert. Extrapyramidale Nebenwirkungen Gleichwohl werden auch die Neuroleptika nicht nur gelobt. Das hängt mit ihren unerwünschten Nebenwirkungen zusammen, die bei einer Neuroleptika-Behandlung mehr oder weniger in Kauf genommen werden müssen. Fast alle diese Substanzen gehen nämlich mit sog. "extrapyramidal-motorischen Symptomen" einher. Was heißt das? Die Extrapyramidal-Motorik ist unser unwillkürlicher Bewegungsausdruck, wie er sich in Mimik, Gestik, Schrittgröße und Mitbewegung der Arme beim Ge- hen zeigt, der also etwas sehr Persönliches darstellt. Diese extrapyramidale Motorik wird durch Neuroleptika in der Regel stark beeinträchtigt im Sinne einer deutlichen Verminderung der erwähnten motorischen Funktionen. Es mag Ihnen selbst aufgefallen sein, wenn Sie einmal eine psychiatrische Klinik besucht haben sollten, daß viele Patienten merkwürdig starr und gebunden in
ihren Bewegungen sind. Das Bild erinnert an die
Parkinsonsche Krankheit (die hirnorganisch bedingte "Schüttellähmung"), denn auch Zittern, "Salbengesicht" und vermehrter Speichelfluß kommen beim "neuroleptischen Parkinson- Syndrom" vor, wie man den Komplex von Nebenwirkungen deshalb auch nennt. Diese Einen- gung der freien Bewegung auf Grund der Neuroleptika ist von Kritikern als "chemische
Zwangsjacke" angeprangert worden, welche die "mechanische Zwangsjacke" für unruhige Patienten früherer Zeiten lediglich ersetzt habe. Die Störungen des neuroleptischen Parkinson-Syn-droms bedeuten für den Kranken in der Tat eine
erhebliche Belästigung und Beeinträchtigung, allerdings werden sie als Preis für die Besserung der wesentlich schlimmeren psychotischen Sym- ptome vom Patienten meist toleriert. Einige Beschwerden, wie z.B. das akute "Zungen- Schlund-Syndrom" mit krampfartigen Verdrehungen von Zunge und Halsmukulatur und auch die sehr lästige "Sitz- und Stehunruhe" (Akathisie) können medikamentös (mit dem Präparat Akineton z.B.) gelindert werden. Nor- malerweise verschwinden alle diese Ne- benwirkungen nach dem Absetzen des Neurolepti- kums. Leider gibt es aber auch die sog. "Spätdyskinesien" nach langer, meist hochdosierter Neuroleptika-Therapie, und dieses Syndrom, das mit unwillkürlichen stereotypen Bewegungen vor allem im Mund- und
Gesichtsbereich einhergeht, bildet sich nach Absetzen der Medikamente nicht wieder zurück und ist darüberhinaus schwierig zu behandeln. - Schließlich seien Blutbildveränderungen als mögliche Komplikation erwähnt, die es erforderlich macht, daß der Arzt insbesondere die Zahl der weißen Blutkörperchen (Leukozyten) regelmäßig in größeren Zeitabständen kontrolliert. Arzt-Patient-Beziehung wichtig! Es wird deutlich, denke ich, daß die Neuroleptika zwar segensreiche, aber durchaus keine harmlosen Substanzen sind. Es muß somit im Einzelfall vom Arzt und Patienten eine Abwägung zwischen Einsatz oder Nicht-Einsatz stattfinden. Das ist in der akuten Psychose kaum eine Frage. Aber es gibt "Langzeit- oder Depot-Neurolep- tika", die auch nach Abklingen der akuten Psychose eingenommen oder gespritzt werden, um neuen akuten Schüben vorzubeugen (Rezidiv- Prophylaxe, s. S. ###). So kann nur eine vertrauensvolle Arzt-Patient- Beziehung zu einer befriedigenden Therapie führen, bei der es vor allem auch auf die zuverlässige Mitarbeit des Patienten ankommt ("Compliance"). Diese ist umso besser, je mehr es dem Arzt gelingt, Vertrauen in seine Behand- lung zu schaffen und damit eine partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Fachmann und Betroffenem aufzubauen. Bei den Neuroleptika wird zwischen stark wirksamen ("hochpotenten") und schwach
wirksamen ("niederpotenten") Substanzen unterschieden. Die Behandlung der akuten Psychose erfolgt in der Regel hochdosiert mit
hochpotenten Neuroleptika. Die bekanntesten Präparate für diesen Zweck sind beispielsweise:
Ciatyl, Dapotum, Decentan, Lyogen, Fluanxol, Glianimon, Haloperidol, Haldol, Imap, Impromen, Orap
Einige dieser hochpotenten Neuroleptika liegen in Depot-Form mit Langzeitwirkung vor und eignen sich somit für eine Langzeittherapie (s. S. ###). Die niederpotenten Neuroleptika werden eher als Begleitmedikation eingesetzt, insbesondere zur Beruhigung und zur Schlafförderung, z.B.
Da die Neuroleptika nicht süchtig machen, aber ähnlich wie die Tranquilizer beruhigend und angstlösend wirken, werden immer wieder Versuche unternommen, statt des suchtgefähr- denden Tranquilizers ein niederpotentes Neu- roleptikum zu geben (z.B. Atosil, Melleril) oder ein hochpotentes Neuroleptikum in niedriger Dosis (z.B. Imap-1,5-Injektionen einmal wöchentlich). Gerade auf diese zuletzt angeführte Behandlung "schwören" viele Patienten. Die wöchentliche Imap-Spritze im Sinne eines "Wochentranquilizers" macht zwar nicht süchtig. Es bleibt aber das Problem der neuroleptischen Nebenwirkungen (z.B. extrapyramidale Störungen, Spätdyskinesien), die auch in niedrigen (!) Dosierungen auftreten können. Für die schwach potenten Präparate ist diese Gefahr geringer, insbesondere für Atosil und Melleril. Zusammenfassend ist festzustellen, daß die Gruppe der Neuroleptika hoch differenzierte und damit auch "komplizierte" Medikamente umfaßt, deren Handhabung praktische Erfahrung und theoretisches Wissen erfordert. Die Führung eines Patienten, der unter einer chronischen Psychose leidet, und seine medikamentöse Einstellung auf ein Neuroleptikum, das ihn vor akuten Schüben schützt und seine Integration in ein weitgehend normales Leben ermöglicht, ist eine gleichermaßen schwierige wie dankbare Aufgabe für Haus- und Nervenarzt. Medikamentöse Langzeitbehandlung Diese Feststellungen haben natürlich eine besondere Bedeutung für die Verläufe schizophrener Erkrankungen, bei denen über viele Jahre, ja manchmal lebenslang mit Neuroleptika behandelt werden muß, um Rückfälle zu vermeiden. Das wird in der Psychiatrie als "Rezidivprophylaxe" bezeichnet. Wie bei vielen seelischen Krankheiten handelt es sich bei der Schizophrenie ja um eine chronische, nach wir vor letztlich nicht ursächlich behandelbare, das heißt, heilbare Krankheit. Ein hoher Prozentsatz schizophrener Psychosen weist einen Krank- heitsverlauf mit immer wieder ("rezidivierend")
auftretenden Schüben auf. Nach Ausbruch der Krankheit liegt die "Rezidivgefahr" bei immerhin bis zu 80 Prozent! Wie gesagt, wir können die Schizophrenie nicht heilen. Aber immerhin lassen sich die drohenden Rezidive (die erneuten Schübe) durch eine prophyklaktische Langzeitbehandlung mit niedrig- dosierten Neuroleptika weitgehend verhindern. Es ist in vielen wissenschaftlichen Untersuchungen nachgewiesen worden, daß das Risiko, innerhalb eines Jahres erneut zu erkranken, deutlich erhöht ist, wenn nach der akuten schizophrenen Episode die Neuroleptika abgesetzt werden und eine medikamentöse Rezidivprophylaxe nicht durchgeführt wird. Für die so wichtige neuroleptische Rezidivprophylaxe sind Substanzen entwickelt worden, die eine Langzeitwirkung aufweisen (die sogenannten "Depot-Neuroleptika"). Das bedeu- tet: Der Patient braucht im günstigsten Fall nur alle drei bis vier Wochen eine Spritze vom Arzt. Für die Sicherheit dieser medikamentösen Prophylaxe und für die Lebensqualität des schizophrenen Patienten ist das natürlich von ungemein großer Bedeutung, insbesondere dann, wenn das Medikament gut vertragen wird und die Nebenwirkungen sich in Grenzen halten. Dann kann der schizophrene Patient ein fast "normales" Leben führen. Bewährte Neuroleptika für die Langzeitbehandlung sind z.B.:
Dapotum D, Decentan-Depot, Fluanxol-Depot, Fluphenazin-neuraxpharm,
Haldol-Decanoat, Imap, Lyogen-Depot, Orap
Wie gut eine solche medikamentöse Rezidivprophylaxe wirklich greift, ist außer von dem Medikament abhängig von vielen anderen Faktoren, z.B. von der Einstellung des Patienten zu dieser Therapie (also seiner "Compliance"), von seinem sozialen Umfeld (z.B. von seiner Integration in die Familie) und von dem Einsatz weiterer Behandlungsformen wie der Soziotherapie (z.B. Arbeitstherapie, Tages- oder Nachtklinik, An-gehörigenarbeit) und begleitender (stützender) Psychotherapie (z.B. verhaltenstherapeutische Trainingsprogramme zu sozialen Fähigkeiten, etwa typischen Alltagssituationen, wie dem Umgang mit "gesunden" Arbeitskollegen). Die Antidepressiva Bei der Depressionsbehandlung sind grundsätzlich zwei Aspekte zu berücksichtigen: die
Ursache und der Schweregrad der vorliegenden Depression. Ist der depressive Symptomen- Komplex Folge einer akuten oder chronischen Belastung, liegt also eine reaktive Depression vor? Ist das Krankheitsbild eher im Rahmen einer Neurose zu sehen, handelt es sich somit um eine neurotische Depression? Oder muß man Veranlagung und biochemische Prozesse im Gehirn annehmen und eine endogene Depression diagnostizieren? Diese Fragen entsprechen einer "Differentialdiagnose" der Depression, deren
Gesichtspunkte ich hier nicht ausführen möchte; ich kann aber verweisen auf das Kapitel über "Wesen und Formen der Depression" ab Seite ###. Die diagnostische Einordnung einer Depression als reaktiv, neurotisch oder endogen hat natürlich Konsequenzen für ihre Therapie. Die beiden "psychogenen" (also seelisch verursachten) Formen werden schwerpunktmäßig psychotherapeutisch behandelt, während die "Psychopharmakotherapie", die uns hier ja interessiert, vor allem bei den endogenen Depressionen eine Rolle spielt. Die Krankheitsursache ist für die Frage der Therapieform indessen nur der eine Gesichtspunkt; auch berücksichtigt werden muß der Schweregrad der Depression. So wird der Arzt bei den psychogenen Depressionen antide- pressive Medikamente dann einsetzen, wenn der Ausprägungsgrad der Symptomatik es erfordert. Denn eine reaktive oder neurotische Depression kann so gravierend sein, daß depressive Ver- stimmungen, Angstzustände, Schlafstörungen oder Suizidgefahr nicht allein durch Gespräche im Rahmen der Psychotherapie zu beherrschen sind. Welches Medikament ist das richtige? Wenn er sich zu einer medikamentösen Therapie entschließt, gilt es für den Arzt, weitere Fragen zu klären, um unter den zahlreichen antidepressiv wirkenden Pharmaka das am besten geeignete auswählen zu können: Wie alt ist der Patient? Muß er noch andere Medikamente einnehmen und
leidet er unter körperlichen Störungen, die es zu berücksichtigen gilt (z.B. Herz- oder Nierenkrankheiten, Durchblutungsstörungen im Gehirn, Grüner Star am Auge)? Und schließlich: Wie ist die Symptomatik der zu behandelnden Depression? Stehen innere Unruhe, Ängstlichkeit, Getriebensein und Schlafstörungen im Vordergrund oder sind eher Antriebsminderung, Schwung- und Lustlosigkeit sowie eine allgemeine Apathie das Problem? Vor dem Einsatz eines Antidepressivums sind diese Fragen zu prüfen und zu beantworten; denn unruhige, sogenannte "agitierte Depressionen" müssen auf ein eher beruhi- gendes ("sedierendes") Präparat eingestellt wer- den, während die sogenannte "gehemmte Depression" wegen ihres Antriebsdefizites einer aktivierenden Substanz bedarf. Mit einem sedierenden Antidepressivum würde man deren Antriebsschwäche noch verstärken. Die Gabe eines
aktivierenden Thymoleptikums bei der "agitierten Depression" könnte dagegen Unruhe und Getrie- benheit des Patienten in gefährlicher Weise ver- stärken (Suizidgefahr!). Wenn es sich um einen älteren Depressionspatienten handelt, der eine Reihe körperlicher Risikofaktoren für die thymoleptische Behandlung mitbringt, stellen die Nebenwirkungen der "klassischen Antidepressiva" oft ein Problem dar. Diese Präparate der "ersten Generation", die sich vom Tofranil ableiten (siehe Seite ###), werden auch "trizyklische Antidepressiva"
genannt, weil ihre chemische Struktur drei "Ringe" aufweist. Sie besitzen alle eine sehr gute antidepressive Wirkung, weisen aber auch relativ starke unerwünschte Effekte ("Nebenwirkungen") auf, vor allem im vegetativen Nervensystem, wie Mundtrockenheit, Blutdrucksenkung, Herzrhyth- musstörungen, Stuhlverstopfung und Beschwerden beim Wasserlassen. Von jungen Menschen werden diese vegetativen Begleiterscheinungen einer an- tidepressiven Therapie meist besser toleriert als von älteren. Bei Unverträglichkeiten muß der Patient gegebenenfalls auf ein Präparat der "neuen Generation" umgestellt werden, wobei die Antidepressiva der "ersten Generation" auch nach wie vor die Antidepressiva der "ersten Wahl" sind. Vorteile der neuen Thymoleptika? Damit Sie verstehen können, was bei den neuen antidepressiven Substanzen "anders" ist, muß ich kurz etwas zu dem biochemischen Wirkprinzip der Thymoleptika sagen. Man weiß heute, daß bei Depressionen ein Mangel an Überträgerstoffen ("Neurotransmittern") im Gehirn besteht. Un- ser Nervensystem funktioniert dadurch, daß es Milliarden von Verbindungsstellen zwischen den Nervenzellen gibt. Die Verbindung zwischen zwei Nervenzellen nennen wir "Synapse". Innerhalb der Verbindungsstelle liegt ein winziger Zwischen- raum, der "synaptische Spalt". Die Informationsübertragung von der einen Zelle zur anderen muß diesen Spalt überwinden. Das ge- schieht chemisch durch die erwähnten Neu- rotransmitter, von denen in unserem
Zusammenhang Noradrenalin und Serotonin die wichtigsten sind. Alle bisher entwickelten chemischen Antidepressiva setzen an diesem Punkt an, das heißt, sie beheben den Mangel an Noradrenalin und/oder Serotonin und bewirken damit eine ver- besserte Funktion des Nervensystems. Während die klassischen Thymoleptika nun relativ un- spezifisch "wie eine Schrotflinte" für die Vermehrung verschiedener Neurotransmitter sorgen und somit auch unerwünschte Wirkungen auslösen, garantieren die neuen Substanzen eine gezielte Anreicherung ausschließlich von Serotonin im synaptischen Spalt. Dadurch entfällt eine ganze Reihe bisheriger Nebenwirkungen, insbesondere Mundtrockenheit, Verstopfung, Harnverhaltung und Herz-Kreislaufstörungen. Beobachtet werden noch serotonin-abhängige Nebenwirkungen wie Übelkeit und Schwindel, die aber in normaler Dosierung eher selten auftreten. Übrigens bleibt für alle chemischen Antidepressiva die Notwendigkeit von gelegentlichen EKG- und Blutbildkontrollen bestehen. Nun aber eine Aufstellung der verschiedenen Thymoleptika in alphabetischer Reihenholge. Präparate der trizyklischen Antidepressiva ("erste Generation") sind z.B.
Anafranil, Aponal, Equilibrin, Insidon, Laroxyl, Noveril, Saroten, Sinquan, Stangyl, Tofranil.
Nicht mehr trizyklisch, aber noch nicht "serotonin-
spezifisch" sind Präparate der 2. Generation, wie
Beispiele der "neuen Generation" mit Wirkung sind:
Was ist ein MAO-Hemmer? Eine wichtige Gruppe der Antidepressiva konnte in die bisher erwähnten noch nicht eingeordnet werden. Es sind die mit der etwas merkwürdigen Bezeichnung "MAO-Hemmer". Diese rührt daher, daß sie die im Stoffwechsel der Nervenzellen wichtige "Mono-Amino-Oxydase" (MAO) hemmen. Das Enzym (ein chemischer Wirkstoff) Monoaminooxydase hat in unserem Gerhirn die Aufgabe, die aktivierten Botenstoffe (die schon erwähnten "Neurotransmitter") Noradrenalin und Serotonin "abzubauen" (s.S. ###). Das ist für die normale Funktion unserer Nervenzellen notwendig. Da bei der Depression jedoch ein Mangel der Neurotransmitter Noradrenalin und Serotonin vorliegt, hat man Medikamente eingesetzt, die den Abbau hemmen und damit für eine Anreicherung der mangelnden Neurotransmitter sorgen. Dies bewirken die deshalb so bezeichneten "MAO-Hemmer". Die "alten" MAO-Hemmer wurden schon in den 60er Jahren mit Erfolg eingesetzt. Es waren die Präparate Jatrosom und Parnate. Ihre Vorteile waren eine gute antidepressive und an-triebsfördernde Wirkung (sie machen also nicht müde!) und weniger Nebenwirkungen, wie wir sie
bei den klassischen Antidepressiva in Kauf nehmen müssen (Mundtrockenheit, Obstipation u.a.). Die subjektive Verträglichkeit ist also recht gut. Das Problem dieser Substanzen ist jedoch eine Wechselwirkung mit Nahrungsmitteln, die den Eiweißkörper Tyramin enthalten, wie z.B. alter, reifer Käse, Fischhalbkonserven (Salzheringe), Hefeextrakte, Saubohnen, Salami, Schokolade u.a. Bei Genuß dieser Nahrungsmittel kann es zu lebensbedrohlichen Blutdruckkrisen kommen. Der Patient muß also sorgfältig eine "tyraminfreie Diät" einhalten. Auch stellt die Kombination mit anderen Psychopharmaka ein Problem dar. Aus diesen Gründen waren die "MAO-Hemmer" in der Be-handlung von Depressionen trotz der guten antidepressiven Wirkung eigentlich immer nur ein Mittel "zweiter Wahl". Seit wenigen Jahren steht nun ein moderner MAO-Hemmer zur Verfügung (Aurorix), bei dem die Probleme mit dem Tyramin keine Rolle mehr spielen (von Extremen wie der Käsesorte "Chedder" einmal abgesehen). Die Kombination mit anderen Antidepressiva bedarf allerdings weiterhin einer ärztlichen Überprüfung, insbesondere bei Kombination mit oder Übergang auf die seroton-spezifischen Antidepressiva. Pflanzliche Antidepressiva wirksam! Alle bisher genannten Präparate sind chemisch synthetisierte, also künstlich geschaffene Substanzen. Zunehmende Aufmerksamkeit erringen in letzter Zeit rein pflanzliche Produkte,
die sog. "Phytopharmaka". Heilpflanzen wie Baldrian, Melisse, Hopfen und Johanniskraut hatten schon immer ihren Markt im Rahmen der Naturheilkunde und deren Anhänger. Auch der berühmte Arzt Paracelsus war ein großer Verehrer von "Hypericum perforatum", dem Johanniskraut (#). Das Problem war bisher der Mangel an wissenschaftlich bewiesener Wirksamkeit. Für die Behandlung von Depressionen ist nun in den letzten Jahren der durch entsprechend wissenschaftliche Studien abgesicherte Nachweis erbracht worden, daß der hochdosierte Johan- niskrautextrakt, welcher z.B. in dem Präparat "Jarsin 300" vorliegt, eine gleich gute anti- depressive Wirkung besitzt wie die klassischen Antidepressiva, zumindest in niedriger Dosierung. Verglichen wurde beispielsweise mit Tofranil als der "Stammsubstanz" in einer Tagesdosis von 75 mg. (#) und mit Ludiomil als einem Vertreter der "2. Generation". Der Vorteil des Johanniskrautextraktes liegt in dem Fehlen jeglicher Nebenwirkungen. Lediglich die Mög- lichkeit einer übermäßigen Hautreaktion bei starker Sonnenbestrahlung ist zu beachten. Dadurch wird jetzt auch im Bereich der seelischen Krankheiten der Einsatz pflanzlicher Medikamente zu einer wissenschaftlich ernstzunehmenden Alternative. Gerade bei den leichten und mittelschweren Depressionen, die an einer Reha- bilitationseinrichtung wie der Tannenwaldklinik häufig vertreten sind, ergibt sich nicht selten die
Indikation für den Einsatz eines solchen Johannis-krautpräparates. Wann tritt die Wirkung ein? Hinweisen möchte ich noch auf zwei Eigenheiten von Antidepressiva, die für chemische und pflanzliche Präparate gleichermaßen gelten: Jedes Thymoleptikum spricht nur bei maximal 70 % der depressiven Patienten an. Dies bedeutet, daß einige Depressive nach einer ersten Behandlung mit einem bestimmten Antidepressivum eventuell auf ein anderes umgestellt werden müssen, da sich das erste Präparat bei diesem Patienten als nicht wirksam erwies. Hier wird ein schwerwiegendes Problem der Praxis deutlich: Die antidepressive Wirkung in Form von Stimmungsaufhellung, Antriebsverbesserung und Normalisierung der vegetativen Funktionen (Schlaf, Appetit, Sexualität) tritt nämlich erst nach
zwei bis drei Wochen Behandlungsdauer ein. Arzt und Patient müssen also etwa vier Wochen abwarten, bis man sich zu einer Umstellung auf ein anderes Antidepressivum entschließt. Das
Warten darauf, ob das Medikament anschlägt oder nicht, ist - das sollte man sich vergegenwärtigen - erheblich belastet durch die fortbestehende Symptomatik und zusätzlich durch die Nebenwirkungen des Medikamentes, die in der Regel gleich nach Einnahme auftreten. Diese Zeit-spanne bis zum Beginn der Besserung
überwinden zu helfen ist eine der wichtigsten Funktionen der Arzt-Patient-Beziehung und auch wesentliche Aufgabe der Angehörigen.
Gelingt dies nicht, so bricht der Patient die Ein- nahme des Medikamentes nicht ganz selten ab, noch bevor es überhaupt wirken konnte. Nicht zu früh absetzen! Wenn es ungeachtet dieser möglichen Schwierigkeiten schließlich zu einem Wirkungseintritt gekommen ist, geht es dem Patienten objektiv und subjektiv spürbar besser, und auch die Nebenwirkungen gehen meist zurück. Das ist in unseren Fallbeispielen, denke ich, wiederholt deutlich geworden. Zu diesem Zeitpunkt ergibt sich nun nochmals ein Problem, wenn der Patient nämlich das Medikament zu früh absetzt, weil es ihm ja jetzt wieder gut geht. Zu frühes und zu schnelles Absetzen von Antidepressiva bedeutet aber immer die Gefahr eines Rückfalles in die akute Depression! Wann man die Dosis reduzieren bzw. das Antidepressivum ganz absetzen kann, sollte der
Arzt entscheiden. Es bedarf ausgeprägten Fingerspitzengefühls und fachlicher Erfahrung, um beurteilen zu können, ob das Medikament noch erforderlich ist oder nicht. Eine Gewöhnungs- oder Suchtgefahr ist weder bei den chemischen, noch bei den pflanzlichen Thy-moleptika zu befürchten. Treten Symptome nach Absetzen des Medikamentes wieder auf, so ist das
kein Hinweis auf eine inzwischen eingetretene Ab-hängigkeit. Darauf bin ich anfangs schon eingegangen. Rückfälle vermeiden!
Abschließend glaube ich sagen zu können, daß Sie nun viele Informationen über "Nutzen und
Risiko der Psychopharmaka" erhalten haben. Damit besitzen Sie die Chance einer sachlichen Einstellung zu dieser Gruppe von Medikamenten, die - wie alles was mit "psycho" zu tun hat - Vorurteilen und Mißverständnissen in besonderem Maße ausgesetzt ist. Sollten Sie oder Ihre Ange-hörigen mit Psychopharmaka behandelt werden, erlaubt Ihnen das erworbene Wissen, so hoffe ich, einen angstfreieren und angemesseneren Umgang mit etwas, das ja heilen und nicht schaden will. Vielen Dank für Ihre Aufmerk-samkeit!
Media Education Summit 2011 MERJ discussion strand http://www.merj.info Pre-conference stimulus: EPISTEMOLOGICAL DEVELOPMENT AND MEDIA EDUCATION Jenny Moon, Bournemouth University ([email protected]) Introduction In this paper I introduce ideas about the development of the learner’s understanding of the nature of knowledge and knowing (also termed epistemological dev
PSYCHIATRIC CENTERS AT SAN DIEGO CURRICULUM VITAE Grant G. Miller PCSD~Feighner Research PCSD~Feighner Research 6153 Fairmount Ave., # 140 1550 Hotel Circle North #270 San Diego, CA 92120 San Diego, CA 92108 (619) 528-4621 (619) 692-1003 EDUCATION AND TRAINING: University of California, San Diego Muir College Bachelors of Sc