2. bis 10. Juni 2012 in den Programmen von Schweizer Radio und Fernsehen Themenschwerpunkt Kultur: «Jean-Jacques Rousseau – einfach Leben.»
Jean-Jacques Rousseau (1712 bis 1778)war zu Lebzeiten ein streitbarer Geist und polarisierte mit seiner Kritik an Kunst und Wissenschaft. Zu seinem 300. Geburtstag widmet die Kulturabteilung von Schweizer Radio und Fernsehen dem Genfer Philosophen einen Themenschwerpunkt. Zahlreiche Beiträge und Hintergrundsendungen in den Radio- und Fernsehprogrammen sowie Dokumentarfilme greifen Rousseaus zentrale Fragen auf und überprüfen sie auf ihre heutige Gültigkeit. Das ganze Programm mit zusätzlich interaktiven Elementen ist aufabrufbar.
Am Anfang seines Ruhms stand ein klares Nein. Jean-Jacques Rousseaus Antwort auf die berühmte Akademiefrage, ob die Erneuerung der Wissenschaften und Künste zum Verderb oder zur Hebung der Sittlichkeit beigetragen habe, war eben jenes «Non!». Kunst und Wissenschaft sind für Jean- Jacques Rousseau dem Menschen hinderlich, sie «korrumpieren die natürliche Bildung des Herzens». Zum 300. Geburtstag des Genfer Philosophen stellt die Kulturabteilung von SRF die Frage erneut: Ist die Gesellschaft mittels der technischen Errungenschaften, dem Wissen und dem menschlichen Gestaltungwillen eigentlich auf dem richtigen Weg? Was ist übrig geblieben von den Gedanken jenes Mannes, der vor 300 Jahren in Genf zur Welt gekommen ist? Den Auftakt zum Themenschwerpunkt macht der DRS 2-«Hörpunkt» am Samstag, 2. Juni 2012. Von 09.00 bis 15.00 Uhr thematisiert DRS 2 Rousseaus Leben und Werk, dessen Vielseitigkeit und Widersprüche. Die «Perspektiven» greifen am Sonntag um 08.30 Uhr auf DRS 2 das Thema Rousseau und die Religion auf und beleuchten die Gründung der Zivilreligion, die Rousseau zugeschrieben wird. Auch die «Sternstunde Religion» widmet sich um 10.00 Uhr dem Thema auf SF 1: Judith Hardegger spricht mit dem Philosophen Herbert Schnädelbach über Rousseaus Idee der Religion des Herzens. Dieses Gespräch wie auch das nachfolgende in der «Sternstunde Philosophie» findet an einem für Rousseau wichtigen Ort statt: Von 1762 bis1765 war er ständiger Gast der Besitzer von Château d’Ivernois im jurassischen Môtiers, wo er die Tage studierend und arbeitend in der Bibliothek verbrachte. Diese Bibliothek bildet auch den Aufzeichnungsort der Sternstunden-Gespräche. Barbara Bleisch fragt in der Schlossbibliothek den Rousseau-Kenner Francis Cheneval in einer Ausgabe der Reihe «Klassiker reloaded», wie aktuell der streitbare Philosoph heute noch ist.
Eine weitere bedeutende Rousseau-Stätte in der Schweiz ist die Sankt Petersinsel: «Kulturplatz» besucht am Mittwoch, 6. Juni 2012, die Insel und spricht mit verschiedenen Rousseau-Kennern über den genialen Querdenker. Ein Highlight der Sendung ist ein speziell für den Themenschwerpunkt komponierter Song von Kutti MC. Um das «einfache Leben» geht es in zwei Dokumentarfilmen. Im Film «Recht auf Zukunft – Der Kampf der Agtas um ihr Erbe» zeigt SF 1 am Sonntag, 3. Juni 2012, um 10.30 Uhr den Kampf des philippinischen Naturvolkes der Agtas gegen den Zivilisationsprozess. Am Mittwoch, 6. Juni 2012, feiert «Rousseaus Kinder», der neue Film über die Schweizer Auswandererfamilie Ruth und Yule Kilcher um 22.55 Uhr auf SF 1 Premiere. Der Dokumentarfilm von Monika Schärer untersucht zusammen mit den Kilcher-«Kindern», die heute alle um die 60 Jahre alt sind, wie das «einfache Leben» der Eltern ihre Biographien prägte, ob die Abwesenheit der Gesellschaft sie zu «besseren Menschen» machte und wie sich ihr Freiheitsbegriff definiert. Im Spätprogramm auf SF 1 greifen auch zwei Spielfilme dieses Thema auf: am Donnerstag, 7. Juni 2012, um 00.20 Uhr der Film «Into the Wild – Die Geschichte eines Aussteigers» sowie am Freitag, 8. Juni 2012, um 00.05 Uhr «Der Wolfsjunge». DRS 2 beleuchtet in diversen Hintergrundsendungen unterschiedliche Aspekte von Rousseaus Lehren und Ideen: Am Sonntag, 3. Juni 2012, erklärt «Parlando» um 16.00 Uhr, welche Rolle Rousseau im Buffonistenstreit spielte und wie er die Veränderung der französischen Opernwelt beeinflusste. «Kontext» und «Reflexe» greifen von Montag bis Freitag abwechslungsweise verschiedene Themen wie Erziehung, Karl-Heinz Otts vergnüglich-skurriler Rousseau-Roman «Wintzenried» oder Rousseaus «Contrat Social» auf. Cornelia Kazis besucht einen Waldkindergarten, und Angelika Schett spricht in ihrer Sendung mit Barbara Bleisch über Rousseaus persönliche Lebensführung, die so gar nicht mit seinen moralischen Konzepten übereinstimmte. Ein eigener Multimedia-Auftritt rundet das Angebot von SRF ab. Aufhaben Nutzerinnen und Nutzer die Möglichkeit, das gesamte Programm abzurufen und sich mit Jean-Jacques Rousseau auseinanderzusetzen. Sie können 15 Fragen beantworten, welche generiert aus Rousseaus Antwort auf die Akademiefrage von 1750 ins Heute übertragen wurden. Spezialisten aus Kultur, Politik und Wissenschaft haben den Anfang gemacht und diese beantwortet. Nun kann das Publikum sich anschliessen und den Antworten der anderen ihre Stimme geben. Das Voting dauert vom 21. Mai bis zum 12. Juni 2012. Dem Gewinner oder der Gewinnerin winkt eine Reise nach Dijon – auf den Spuren von Jean-Jacques Rousseau. Den Schlusspunkt setzen die Sternstunden: Am Sonntag, 10. Juni 2012, lässt Norbert Bischofberger mit seinem Gast Dieter Sturma in der «Sternstunde Philosophie» die aufgegriffenen Themen nochmals Revue passieren und geht auch auf die Online-Beiträge des Publikums ein. Der eigens für den Schwerpunkt produzierte Dokumentarfilm «Rousseaus Kinder» von Monika Schärer wird zum Abschluss um 11.55 Uhr nochmals in der «Sternstunde Kunst» gezeigt.
Übersicht der Sendungen im Radio und Fernsehen
Samstag, 2.Juni 2012 9.00-15.00 Uhr, DRS 2 «Hörpunkt»: Jean-Jacques Rousseau Der berühmteste Genfer der Geschichte polarisiert noch heute. Schon zu Lebzeiten war Jean- Jacques Rousseau ein streitbarer Geist. Der «Hörpunkt» zu seinem 300. Geburtstag bildet den Auftakt zu einer ganzen Rousseau-Woche. DRS 2 thematisiert dessen Leben und Werk, dessen Vielseitigkeit und Widersprüche. Hörspielregisseur Claude Pierre Salmony hat mit dem Schauspieler Michael Wittenborn Lesungen aus den «Confessions» produziert, die in die sechs Sendestunden einfliessen. Auch mehrmals im Programm: die Webdokumentation www.jjr2012.srf.ch. Sie liefert viel Material rund um die Frage der Akademie von Lyon von 1749: «Hat der Fortschritt in Wissenschaft und Kunst das Los der Menschheit verbessert?» 9.00-10.00 Uhr, DRS 2 Zeitgeist in Genf 1712 und die Aufklärung Der Calvinismus war der Geist, der das Milieu prägte, in dem Jean-Jacques Rousseau 1712 zur Welt kam. Die Handwerker misstrauten der Finanzwelt und der Obrigkeit. Guillaume Genevière, einst Direktor des Westschweizer Fernsehens und Autor eines Buches über Rousseau, geht dem Genfer Zeitgeist des 18. Jahrhunderts auf den Grund. Das Zeitalter der Aufklärung: Wie entstanden diese revolutionären Ideen? Wie konnten sie sich so schnell verbreiten? Welche Rolle spielte dabei Jean-Jacques Rousseau? Antworten des Hamburger Autors Manfred Geier, der sich eingehend mit der Aufklärung befasst hat. (Zweitsendung: gleichentags, 17.00 Uhr, DRS 2) 10.00-11.00 Uhr, DRS 2 Musiker Rousseau und die Pariser Salons Gluck, Rameau, Corel i… die Musik der Aufklärung, verbotene Libretti, die wachsende Rolle des Bürgertums, der Polemiker und streitbare Komponist – das sind Mosaiksteine zum Musiker und Musiktheoretiker Jean-Jacques Rousseau. Think Tanks der Aufklärung: Die Romanistin Michèle Crogiez erzählt vom Wesen und Funktionieren der Pariser Salons, einem Forum, in dem die bessere Gesellschaft eifrig und geistreich Neues aus Kultur, Wissenschaft und Politik diskutierte. (Zweitsendung: gleichentags, 18.00 Uhr, DRS 2) 11.00-12.30 Uhr, DRS 2 Gesellschaftstheorien Unter Demokratie verstand Rousseau eine radikale Form der Basisdemokratie – ganz anders als die Menschen heute. Der Zürcher Philosoph Francis Cheneval erhellt die Unterschiede zwischen dem heutigen westlichen Demokratieverständnis und jenem von Rousseau. Der «Contrat Social», Rousseaus einflussreichster, gesellschaftspolitischer Text, ist heiss umstritten, insbesondere wegen des Begriffs der Volonté générale, der sich totalitär und demokratisch interpretieren lässt. Der Historiker Jakob Tanner über die kühne Idee, dass Herrschaft begründet werden muss. (Zweitsendung: gleichentags, 20.00 Uhr, DRS 2) 12.40-14.00 Uhr, DRS 2 Erziehung und Menschenbild In «Emile» und der «Nouvelle Héloïse» entwarf Rousseau das Bild eines naturnahen, unverbildeten Lebens. Seine eigene Lebensrealität war jedoch weit von diesen Idealen entfernt. Er war ein Skeptiker, ja er hatte misanthropische Züge. Der Philosoph und Übersetzer Stefan Zweifel über Rousseaus Widersprüche und über die Schattenseiten der Aufklärung. Paris mit den Augen Rousseaus: Ein Spaziergang an Schauplätze der «Rêveries du promeneur solitaire». Was in der Natur vor den Stadttoren lag, ist heute der Autobahnring und die Banlieue. (Zweitsendung: gleichentags, 21.30 Uhr, DRS 2) 14.00-15.00 Uhr, DRS 2 Rousseau, die Schweiz und die Nachwirkungen Die Franzosen sehen Rousseau als Franzosen, die Schweizer als Schweizer. Zwar machte sich Rousseau in Paris über seine Heimatstadt lustig. Griff man ihn aber wegen seines Provinzlertums an, wehrte er sich. Der Romanist Roger Francillon und die Autorin Joëlle Kuntz über Rousseaus geistige Verwurzelung auch in der Deutschschweiz. Der 92jährige Literaturwissenschaftler und Arzt Jean Starobinski ist der Doyen der französischsprachigen Literaturkritik. Er hat verschiedentlich über Rousseau publiziert. Jean Starobinski erklärt, was 300 Jahre nach Rousseaus Geburt von ihm bleibt. (Zweitsendung: gleichentags, 23.00 Uhr, DRS 2) Sonntag, 3. Juni 2012 08.30 Uhr, DRS 2 «Perspektiven»: Rousseau und die Gründung der Zivilreligion Der übergetretene Katholik Jean-Jaques Rousseau feierte als junger Mensch stets sein Christentum als einzig wahre Religion, das Christentum sei mithin «die» Religion des Menschen. Eine Überzeugung, die der vor 300 Jahren geborene Genfer Philosoph indessen später seinem «Contrat Social» opfern sollte. Darin «erfand» er die noch heute gültige Form der Zivilreligion, machte sich stark für die Trennung von Kirche und Staat und unterschied zwischen Mensch und Bürger. Die Kirche verlor ihren Alleinvertretungsanspruch, zwei Formen der Gemeinschaft sollten gelten für die Gesellschaft der Zukunft: die politische Gemeinschaft auf Erden und die christliche, am Jenseits orientierte Gemeinschaft. Diese Philosophie Rousseaus bestimmt noch heute die Rechtsverfassungen. 10.00-12.00 Uhr, SF 1 «Sternstunde spezial» aus Môtiers NE Nur wenigen ist bekannt, dass der Philosoph Jean-Jacques Rousseau im Verlauf seines abenteuerlichen Lebens auch einige Jahre im Val de Travers verbrachte. Oft herrscht die Meinung vor, der Schwärmer, Natur- und Geisteswissenschaftler habe seine «Schweizer Zeit» auf der Petersinsel im Bielersee verbracht. Tatsächlich genoss er ganze sechs Wochen die Seeidylle, bevor ihn die Obrigkeit wegwies. In Môtiers aber, dem ältesten Ort im Val de Travers im Neuenburger Jura, wo der Absinth herkommt, weilte er während voller drei Jahre, von 1762 bis 1765. Während dieser Zeit war er ständiger Gast der Besitzer von Château d’Ivernois, wo er die Tage studierend und arbeitend in der Bibliothek verbrachte. Genau diese Bibliothek bildet der Aufzeichnungsort der Sternstunden- Gespräche, an einem historischen Ort par excellence also. So wie das Haus damals seine Pforten dem Verfolgten öffnete, so gewähren die heutigen Besitzer Schweizer Radio und Fernsehen – und damit der Öffentlichkeit – Gastrecht. 10.00 Uhr, SF 1 «Sternstunde Religion»: Rousseau und die Religion des Herzens Herbert Schnädelbach zu Gast bei Judith Hardegger Jean-Jacques Rousseau hatte eine klare Meinung zum Thema Religion, und diese löste europaweit Skandale aus. Rousseau war zwar kein Atheist, aber er hielt nichts von göttlichen Offenbarungen und verwarf auch die Autorität der Kirche. Wahre Religion waren für ihn vor allem Natur- und Gefühlsreligion. Nicht in heiligen Schriften, sondern im eigenen Herzen sollten die Menschen Gott suchen. Diese Forderung findet auch heute noch Anklang. So übt auch der Philosoph Herbert Schnädelbach scharfe Kritik an der Offenbarungsreligion. Seine Verurteilung des Christentums löste eine breite Debatte aus. Judith Hardegger unterhält sich mit Herbert Schnädelbach über Rousseaus Idee einer Religion des Herzens und darüber, wohin ihn die Suche nach dem, was zwischen Offenbarungsreligion und Atheismus liegt, geführt hat. 10.30 Uhr, SF 1 «Sternstunde Religion»: Recht auf Zukunft – Der Kampf der Agtas um ihr Erbe Eine Reportage von Renata Münzel Rousseaus grosse Frage ist: Wie kann ein von Natur aus wildes und freies Individuum seine Freiheit behalten, wenn es aus dem Naturzustand in den Zustand der Zivilisation eintritt? Das philippinische Volk der Agtas erlebt genau diesen Prozess, denn die Urwaldbewohnerinnen und - bewohner dort passen schlecht in die globalisierte Welt. Wenn sie ihren angestammten Lebensraum verlassen müssen, werden sie zu Aussenseitern. Oft verschulden sie sich bei Grossgrundbesitzern oder sterben an bisher unbekannten Zivilisationskrankheiten. Wie können diese Menschen ihr einfaches Leben im Einklang mit der Natur behalten? Wie werden die Mittel, die sie anwenden, ihr Leben verändern? Wie kann auch die nächste Generation, die zwar im Wald, aber in Kenntnis der digitalisierten Gesellschaft aufwächst, ihr Wissen und ihre Liebe zur Natur bewahren? Eine Reise aus der Urzeit in die Moderne. 11.00 Uhr, SF 1 «Sternstunde Philosophie»: Jean-Jacques Rousseau und die neue Gesellschaft Francis Cheneval im Gespräch mit Barbara Bleisch Jean-Jacques Rousseau ist vielen als Kritiker bekannt: Er war gegen den Fortschritt, gegen die Monarchie und gegen Privateigentum, er war kulturpessimistisch und kirchenkritisch. Doch wofür begeisterte sich Rousseau? Für welche Gesellschaft kämpfte er, welche Mitbestimmung der Bürger schwebte ihm vor? Von welcher Natur träumte er, welchen Erziehungsstil verteidigte er? Barbara Bleisch unternimmt in der Reihe «Klassiker reloaded» mit Rousseau-Kenner Francis Cheneval einen Streifzug durch die Ideenwelten des streitbaren Philosophen und will wissen, wie aktuell Rousseau heute noch ist: Was hat die heutige Montessori-Pädagogik mit Rousseau zu tun? Können Schweizerinnen und Schweizer von Rousseaus Demokratieverständnis heute noch lernen? Wäre die Lessness-Bewegung in Rousseaus Sinn gewesen? 16.00 Uhr, DRS 2 «Parlando»: Que Quoique Quelques: Jean-Jacques Rousseau und der Buffonistenstreit Ein Musikhörstück von Balthasar Kübler Der Ort: Paris. Die Zeit: 1752 bis 1754. Das Vorspiel: Die Aufführung von Giovanni Battista Pergolesis Opera buffa «La serva padrona» durch eine italienische Operntruppe in der Académie Royale de Musique. Die vermeintlich bloss unterhaltende Musik schlägt hohe Wellen, denn wie der Titel unmissverständlich ausdrückt, wird hier «die Magd zur Herrin» – und also die Weltordnung auf den Kopf gestellt. Es ist die kleine Rebellion der aufmüpfigen Magd Serpina auf der Opernbühne. Doch es ist auch eine Lunte, die sie auslegt – und an ihr entzündet sich der Streit der Buffonisten, die «Querelle des bouffons». Die Provokation: Jean-Jacques Rousseau wirft im November 1753 mit seiner «Lettre sur la musique françoise» den Funken ins Pulverfass, indem er behauptet, dass die italienische Musik der französischen überlegen sei – schlimmer noch: «. que les François n'ont point de Musique et n'en peuvent avoir; ou que, si jamais ils en ont une, ce sera tant pis pour eux.» Das Hauptspiel: Die konservativen Vertreter der französischen Musik aus dem «coin du roi» mit ihrem prominenten Vertreter Jean-Philippe Rameau bekämpfen die Philosophen aus dem «coin de la reine», und es werden über sechzig Schriften publiziert. Am Ende verändern die «Dilettanten» (mit Rousseau) die französische Opernwelt, das Buffoneske gewinnt an Gewicht –, und die Französische Revolution rückt näher. Montag, 4. Juni 2012 09.00 Uhr, DRS 2 «Kontext»: Erziehen mit Rousseau Die pädagogischen Reformen der letzten 200 Jahre wären ohne das Werk Jean-Jacques Rousseaus kaum denkbar. Besonders mit seinem 1762 erschienenen Erziehungsroman «Emile oder über die Erziehung» ist er bis heute wirkungsvoll. Rousseau beschrieb in Emile die Erziehung eines fiktiven Kindes. Und zwar ohne die negativen Einflüsse einer verdorbenen Kultur. Dabei verstand er die Kindheit als besonderen Lebensabschnitt. Kinder sollten nicht länger kleine Erwachsene sein, sondern Zeit für ihre Entwicklung haben. Rousseau kann als Entdecker der Kindheit verstanden werden. Wie sehr wurden nun Rousseaus pädagogische Ideale von seinen eigenen Lehr- und Wanderjahren bestimmt? Und was davon gilt noch heute? Zu diesen Fragen ist Heinz Elmar Tenorth, Professor für Historische Erziehungswissenschaft an der Humboldt Universität Berlin, zu Gast bei Angelika Schett. (Zweitsendung: gleichentags, 18.30 Uhr, DRS 2) Dienstag, 5. Juni 2012 10.00 Uhr, DRS 2 «Reflexe»: Karl-Heinz Otts vergnüglich-skurriler Rousseau-Roman «Wintzenried» In «Wintzenried» erzählt Karl-Heinz Ott von Jean-Jacques Rousseaus Leben respektlos und mitunter grotesk satirisch. Der in Freiburg im Breisgau lebende deutsche Autor (Verfasser von eigenwillig verspielten Romanen wie «Ins Offene» und «Endlich Stille» und einer klugen G.F.-Händel-Studie «Tumult und Grazie») zeigt Rousseau als höchst widersprüchlichen, stets Getriebenen von Verfolgungs- und Grössenwahn geprägtes Genie, Monster, ewigen Onanisten. Hans Ulrich Probst hat Karl-Heinz Ott zu «Wintzenried» – das Buch ist nach dem Liebhaber von Rousseaus Ersatzmutter benannt – und zu seinem tragikomischen Porträt Rousseaus befragt. (Zweitsendung: gleichentags, 22.05 Uhr, DRS 2) Mittwoch, 6. Juni 2012 09.00 Uhr, DRS 2 «Kontext»: Für die Schweiz – ein neuer Contrat Social? Was würde Jean-Jacques Rousseau vorschlagen, wenn er heute die Schweiz bereisen würde, welche Vorschläge würde er machen, um wirtschaftliche Ansprüche und demokratische Entscheidungsprozesse zu versöhnen – welchen Gesellschaftsvertrag würde er entwerfen für ein Land wie die Schweiz? Christoph Keller überträgt das berühmte Werk des französischen Philosophen, «Du Contract Social ou Principes du Droit Politique», auf moderne Verhältnisse. (Zweitsendung: gleichentags, 18.30 Uhr, DRS 2) 22.20 Uhr, SF 1 «Kulturplatz» auf der Sankt Petersinsel Was hat Rousseaus heutigen Menschen noch zu sagen? Wer war überhaupt dieser geniale Querdenker, der in seinem Leben sowohl kultische Verehrung wie abgrundtiefe Feindschaft erlebte? Das und noch mehr will «Kulturplatz» in der Sondersendung zum 300. Geburtstag Jean-Jacques Rousseaus ergründen. Mit dem deutschen Schriftsteller Karl-Heinz Ott, Autor des biographischer Romans «Wintzenried», besucht der «Kulturplatz» das Städtchen Môtiers NE, wo der wegen seiner revolutionären Gedanken vertriebene Misanthrop Rousseau vorübergehend Zuflucht fand. Mit dem norwegischen Autor Tomas Espedal, der das Gehen als eine existenzielle Suche nach sich selbst beschrieben hat, wandert «Kulturplatz» durch die Wildnis Norwegens und unterhält sich über Rousseaus Idee vom Gehen als Antrieb des Denkens. Der Schweizer Philosoph Eduard Kaeser spricht über die rasend schnellen Veränderungen des modernen Alltags durch die Digitalisierung – und dabei kommt auch Jean-Jacques Rousseau zu Wort, der vor 300 Jahren eine Fortschrittskritik formulierte, die heute mehr Gültigkeit hat als je zuvor. Kutti MC, einer der profiliertesten Texter und Künstler der Schweiz, hat seine persönliche Annäherung an Rousseau in einem speziell für «Kulturplatz» geschriebenen Song zusammengefasst. Moderiert wird die Sendung auf der Petersinsel im Bielersee. Hier werden Nina Brunner und ihr Gesprächspartner, der Rousseau-Übersetzer und Philosoph Stefan Zweifel, flanierend den Gedanken nachhängen – ganz im Sinne Rousseaus. 22.55 Uhr, SF 1 «DOK»: Rousseaus Kinder – Ein Reality-Check in Alaskas Wildnis Premiere des neuen Films über die Schweizer Auswandererfamilie Ruth und Yule Kilcher
Sie waren beide Abenteurer, Querdenker, Naturforscher und Kulturmenschen: der Genfer Aufklärer Jean-Jacques Rousseau und die Schweizer Auswanderer Ruth und Yule Kilcher aus Pratteln BL und Solothurn. Zu Anfang der 1940er-Jahre verwirklichte das Paar an der Südküste Alaskas seinen Traum vom einfachen Leben im Einklang mit der Natur. 200 Jahre nach Rousseau – und ohne sich explizit auf den berühmten Vordenker zu berufen – suchten Ruth und Yule Kilcher nach neuen Lebensformen, fern vom Hitler-infizierten Europa und weitab von zivilisatorischen Einflüssen. Am Rande der Kachemak Bay errichteten sie ein Holzhaus, zogen acht Kinder gross und pflegten einen autarken Lebensstil. Monika Schärer untersucht in ihrem Film Rousseaus Kinder zusammen mit den Kilcher-«Kindern», die heute alle um die 60 Jahre alt sind, wie das «einfache Leben» der Eltern deren Biographien prägte, ob die Abwesenheit der Gesellschaft sie zu «besseren Menschen» machte und wie sich ihr Freiheitsbegriff definiert. Die Erinnerungen und Erfahrungen der «Naturkinder» kontrastieren oder ergänzen Zitate von Rousseau, die in den Film eingeflochten werden. Die Kinder reflektieren Aussagen ihrer Eltern Ruth und Yule Kilcher, die das inzwischen verstorbene Auswandererpaar 1984 in der Dokumentation «Die schwierige Schule des einfachen Lebens» von Alfi Sinniger gemacht hatte. Donnerstag, 7. Juni 2012 10.00 Uhr, DRS 2 «Reflexe»: Mit Jean-Jacques im Wald Wer den Namen Jean-Jacques Rousseau hört, denkt in der Regel ziemlich schnell an «Retour à la nature», an Philosophie und an seine pädagogische Lehre. Der Genfer Gelehrte gilt vielerorts als «Entdecker der Kindheit». Was genau hat es damit auf sich? Dieser Frage geht Cornelia Kazis beim Besuch eines Waldkindergartens nach. Wie viel Rousseau steckt in dem Projekt? Wie viel Schutz vor vorschneller Kultivierung, von «Verfrühung», wie Rousseau sagte, ist im Alltag des Waldkindergartens spürbar? Mit in den Wald kommt auch Jürgen Oelkers, Professor für Pädagogik und profunder Kenner der pädagogischen Reformbestrebungen in den letzten Jahrhunderten. Eine Reportage. (Zweitsendung: gleichentags, 22.00 Uhr, DRS 2) 00.20 Uhr, SF 1 «Delikatessen»: Into the Wild - Die Geschichte eines Aussteigers Spielfilm (Drama) USA 2007 Mit Emile Hirsch (Chris McCandless), Marcia Gay Harden (Billie McCandless), William Hurt (Walt McCandless), Jena Malone (Carine McCandless), Brian Dierker (Rainey), Catherine Keener (Jan Burres), Vince Vaughn (Wayne Westerberg), Kristen Stewart (Tracy Tatro) Regie: Sean Penn Drehbuch: Sean Penn (nach dem Tatsachenroman von Jon Krakauer) Der 22jährige Christopher McCandless (Emile Hirsch) hat gerade den College-Abschluss gemacht und von seinen Eltern 24 000 Dollar Studiengeld erhalten. Von einem Tag auf den anderen beschliesst er, das Geld einer Hilfsorganisation zukommen zu lassen, vernichtet seine Kreditkarte und verschwindet. Er hat nur ein Ziel: den Zwängen und Strukturen der Gesellschaft zu entfliehen. Seine Reise führt Christopher quer durch Amerika. Mal arbeitet er als Erntehelfer, mal lässt er sich gar auf eine Art Familie ein bei den beiden Hippies Jan (Catherine Keener) und Rainey (Brian H. Dierker). Durch sie lernt er auch die junge Tracy (Kristen Stewart) kennen. Doch Christopher mag nicht lange am selben Ort verweilen. Nach zwei Jahren landet er in der Wildnis von Alaska, wo er sich in einem alten Buswrack mit einer Minimalausrüstung häuslich einrichtet. Er ernährt sich von Beeren und kleineren Tieren und liest in den Werken seiner grossen Vorbilder Tolstoi, Emerson und Thoreau. Doch die Natur zeigt sich dem jungen Mann bald von ihrer grausamsten Seite. Sean Penn erzählt in «Into the Wild» die Geschichte eines jungen Mannes, der sich Anfang der 1990er-Jahre radikal von der Gesellschaft abwendet und in der Natur den Sinn des Lebens sucht. Sein Drehbuch basiert auf dem gleichnamigen Roman des US-Schriftstellers Jon Krakauer, der darin die wahre Geschichte des Aussteigers Christopher McCandless erzählt. Dem Hollywood-Star ist mit seinem vierten Spielfilm eine erstaunlich poetische Verfilmung eines Tatsachenberichtes gelungen, die nicht zuletzt dank der hervorragenden Besetzung der Hauptrolle zu überzeugen vermag. Emile Hirsch, bekannt aus «Lords of Dogtown» und «Alpha Dog», gibt McCandless gekonnt als Mischung aus Naivling und spirituellem Sinnsuchenden. Ihm und Penn gelingt das Kunststück, die Waage zu halten zwischen Verherrlichung des Aussteigertums und der Trauer über ein leichtfertig weggeworfenes Leben. Nie ziehen Hirsch oder Regisseur Penn McCandless' Vorhaben ins Lächerliche, und sie befinden sich so nahe an der Philosophie des vor 300 Jahren geborenen Jean- Jacques Rousseaus, der mit seinen zivilisationskritischen Schriften als eine Art Urvater der «Zurück zur Natur»-Bewegung gilt. Freitag, 8. Juni 2012 09.00 Uhr, DRS 2 «Kontext»: Müssen Moral und gute Lebensführung übereinstimmen? Jean-Jacques Rousseau ging mit seinem Werk nicht nur als bedeutender Philosoph und Pädagoge in die Geschichte ein, sondern auch als Rabenvater. Seine fünf Kinder kamen allesamt ins Findelhaus. Auch wenn Rousseau diese Aktion zu rechtfertigen suchte, so war er sich im Klaren, dass er hier fundamental versagt hatte. Zumal in den Findelhäusern des 18. Jahrhunderts das Überleben für kleine Kinder höchst ungewiss war. Ist Rousseau mit seiner Philosophie und Pädagogik deshalb weniger glaubwürdig? Müssen moralische Konzepte mit der persönlichen Lebensführung übereinstimmen? Oder ist Rousseaus Leistung im Bereich der Pädagogik geringer, weil er als Vater derart versagte? Dazu spricht Angelika Schett mit der Philosophin und Journalistin Barbara Bleisch. (Zweitsendung: gleichentags, 18.30 Uhr, DRS 2)
00.05 Uhr, SF 1: Film «Der Wolfsjunge» Der Wolfsjunge (85' 00") Serie (Drama) Frankreich 1970 Mit François Truffaut (Dr. Jean Itard), Jean-Pierre Cargol (Victor), Françoise Seigner (Madame Guerin), Jean Dasté (Prof. Philippe Pinel), Annie Miller (Madame Lemeri), Claude Miller (Monsieur Lemeri) Regie: François Truffaut 1798 entdecken Bauern in den Wäldern der französischen Provinz einen nackten Knaben (Jean- Pierre Cargol), dem alle Merkmale zivilisierter Menschen abgehen. Er bewegt sich auf allen Vieren, ist stumm und hatte offensichtlich nie näheren Kontakt zu anderen Menschen. Das als «Wolfsjunge» bekannte Kind erhält den Namen Victor, und sein Fall macht als wissenschaftliche Sensation schnell die Runde. Später kommt er unter die Fittiche des aufgeklärten Doktors Jean Itard (François Truffaut). Der Gelehrte glaubt fest an die Entwicklungsfähigkeit des jungen Menschen und daran, dass es möglich ist, ihn in die Gesellschaft zu integrieren. Andere, weniger optimistische Geister, halten das für ein schier unmögliches Unterfangen. Regisseur Truffaut verfasste das Drehbuch zum Film nach den Tagebucheinträgen von Doktor Jean Itard. Ihm ging es massgeblich um die Problematik des Aussenseitertums und um die Schwierigkeit, einen Menschen in die Gesellschaft zu integrieren, der aufgrund seiner Vergangenheit eigene, für einen «zivilisierten Menschen» untypische, Verhaltensweisen entwickelt hat. Letztendlich stellt sich die Frage, ob denn eine allen ethischen und wissenschaftlichen Erkenntnissen gerecht werdende Definition des Begriffs «Mensch» existiert. Und wenn ja, ob solche Definition nicht immer anmassend sind und geradewegs auf das Ende jeder Individualität hindeuten. Sonntag, 10. Juni 2012
11.00 Uhr, SF 1 «Sternstunde Philosophie»: Jean-Jacques Rousseau Der Philosoph Dieter Sturma zu Gast bei Norbert Bischofberger Erziehung und Politik, die Beschäftigung mit der Natur, das Interesse für den Menschen, seine Natur und seine Freiheit, das sind die zentralen Themen des Genfer Philosophen Jean-Jacques Rousseau. Was bleibt vom Aufklärer Jean-Jacques Rousseau, einem Wegbereiter der Französischen Revolution? Und was bleibt von seinem Werk? In «Sternstunde Philosophie» bietet der Philosoph und Rousseau-Kenner Dieter Sturma einen Rückblick auf den Themenschwerpunkt Rousseau der Abteilung Kultur von SRF und schlägt den Bogen von Rousseaus Naturphilosophie zur heutigen Debatte um Nachhaltigkeit. 11.55 Uhr, SF 1 «Sternstunde Kunst»:Rousseaus Kinder – Ein Reality-Check in Alaskas Wildnis Zweitausstrahlung des Films von Monika Schärer über die Auswandererfamilie Ruth und Yule Kilcher (siehe Mittwoch, 6. Juni 2012, 22.55 Uhr, SF 1).
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