Domperidon zur Milchmengensteigerung bei stillenden Frauen
Gudrun von der Ohe, Ärztin und IBCLC aus Hamburg
Hintergründe
Medikamente oder traditionelle „Hausmittelchen“ zur Milchmengensteigerung bei stillenden Frauen gibt es in allen Kulturen. Sie werden als Galaktogogen bezeichnet, sind in den meisten Fällen pharmakologisch wenig hilfreich, stehen aber immer mit einer Unterstützung der stillenden Mutter in Zusammenhang. Lediglich für Bockshornkleesamen (Phenum Grecum) in hohen Dosen scheint ein leichter Effekt nachgewiesen zu sein. Um die Milchmenge einer laktierenden Frau zu steigern, ist häufiges Anlegen des Babys mit korrekter Anlegetechnik bzw. häufiges Gewinnen von Muttermilch per Hand oder Pumpe der ausschlaggebende Faktor. Kein Galaktogogum kann die effektive und häufige Stimulation der Brust ersetzen und Studien, die hohe Evidenzwerte für solche Mittel erreichen, sind kaum vorhanden.
Einige Grunderkrankungen der Mutter wie z.B. Hypothyreose, Diabetes mellitus, Polyzystisches Ovarialsyndrom (PCO) und andere Faktoren (z.B. Plazentareste in der Gebärmutter, hoher Blutverlust intrapartal, Operationen an der Brust) können die Milchbildung erschweren oder verringern, so dass zu einem guten Stillmanagement eine gute Anamnese unabdingbar ist.
Die Milchbildung beruht auf einem komplexen hormonellen System, das Hormon Prolaktin scheint eine entscheidende Rolle für die Milchmenge zu spielen. Obwohl nicht ganz klar ist, ob und inwiefern die Höhe des Prolaktinspiegels im Blut (als Basiswert ebenso wie als Spitzenwert unter dem Stillen) direkt mit der Milchmenge korreliert, gibt es Erfolge bei der Erhöhung der Milchmenge mittels der Einnahme von Medika-menten, die den Prolaktinspiegel heben.
Die beiden gebräuchlichsten Wirkstoffe, Domperidon (Motilium®) und Metoclopramid (Paspertin®) sind Dopamin-Antagonisten und erhöhen als solche die Prolaktinsekretion. Beide Medikamente sind ver-schreibungspflichtig und werden normalerweise gegen Übelkeit verschrieben. Domperidon wirkt als Galaktogogum effektiver und geht aufgrund der hohen Eiweißbindung kaum in die Muttermilch über.
Beide Medikamente haben keine Zulassung zur Milchmengensteigerung, wodurch die Verschreibung eine Off-Label-Therapie ist. Nach dem Arzneimittelgesetz kann ein Arzt ein Arzneimittel off-label verordnen. Er muss es, wenn es medizinischem Standard entspricht (das ist bei diesen Mitteln als Galaktogogen aber unbekannt). Allerdings hat der Arzt eine intensivierte Pflicht zur Aufklärung auch über das mögliche Auftreten bisher noch unbekannter Risiken und zur Beobachtung des Behandlungsverlaufes. Ein Off-label-Use ist grundsätzlich keine Leistung der GKV. (Quelle: Dtsch.med.Wschr. 2012; 137(28/29): 1444, dto. 2012; 137(30): 1519-23)
Empfehlungen und Diskussionen international
Die American Academy of Breastfeeding Medicine (ABM) hat in ihrem klinischen Protokoll zu Galaktogogen vom Januar 2011 Empfehlungen bezüglich des Einsatzes von Domperidon herausgegeben, die sich bis heute nicht geändert haben. Sie raten zu Zurückhaltung, sehr überlegtem Einsatz und Ausschöpfung aller anderen Möglichkeiten vor Beginn einer Therapie mit Domperidon. Im Fall des Falles empfehlen sie eine Dosierung von maximal 30mg Domperidon täglich, aufgeteilt in 3 Einzeldosen von 10mg.
Das vollständige klinische ABM-Protokoll zu Galaktogogen kann hier heruntergeladen werden:
Die US-amerikanische Arzneimittelzulassungsbehörde hat 2004 eine Warnung davor ausgesprochen, Domperidon für stillende Frauen zu verwenden, da es zu kardialen Nebenwirkungen (bei der Mutter) kommen kann. 2011 wurde die Warnung etwas gelockert, sie wird und wurde auch unter den Mitgliedern der ABM kontrovers diskutiert.
März 2013 Europäisches Institut für Stillen und Laktation
Im März 2012 veröffentlichte die kanadische Gesundheitsbehörde ebenfalls aus Sorge vor kardiologischen Nebenwirkungen eine Warnung, keine höhere Dosierung als 30mg/Tag für den Einsatz bei stillenden Müttern zu wählen.
Jack Newman, MD, FRCPC ist seit vielen Jahren im amerikanischen Raum bekannt als Arzt, der sich mit der Thematik beschäftigt und offenbar auch höhere Dosierungen in seiner Praxis verwendet. Eine gemeinsame Erklärung verschiedener Experten wurde als Antwort auf die kanadische Warnung veröffentlicht. Darin wird vor allem kritisiert, dass für die Bewertung des kardiologischen Risikos Studien mit schwachen Evidenzwerten herangezogen werden und zudem die untersuchten Probanden meist ältere Personen sind, die aufgrund multipler Erkrankungen behandelt werden. Die vollständige Erklärung finden Sie hier:
Im Februar 2013 schreibt Dr. Newman erneut: „Domperidon kommt aus der gleichen Familie wie Metoclopramid ist aber viel sicherer. Die Vorstellung, dass Domperidon gefährlich für stillende Frauen ist, ist einfach nicht wahr. Sie basiert auf zwei Studien, die beide schlecht interpretiert wurden und sich ausschließlich auf ältere kranke, teils herzkranke Patienten beziehen. Zusammenfassend: Stillende Mütter, die Domperidon einnehmen, sind in der Regel jüngere, gesunde Frauen. Sie passen nicht in das gleiche demographische Profil wie die Patienten in den Studien, aus denen die Warnung generiert wurde.“
Johannes CB et al. Risk of serious ventricular arrhythmia and sudden cardiac death in a cohort of users of domperidone: a nested case-control study. Pharmacoepidemiol Drug Saf. 2010 Sep; 19(9): 881-888. Van Noord C et al. Domperidone and ventricular arrhythmia or sudden cardiac death: a population-based case-control study in the Netherlands. Drug Saf. 2010 Nov 1; 33(11): 1003-1014. Aktuelle Empfehlungen in Deutschland
Im Deutschen Ärzteblatt wurde 2012 veröffentlicht (Dtsch Arztebl 2012; 109(37): A-1838 ): „Ventrikuläre Arrhythmien und plötzlicher Herztod im Zusammenhang mit Domperidon – Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) weist darauf hin, dass die Einnahme des Prokinetikums Domperidon (Motilium®, Nycomed) mit einem gering (etwa 1,5-fach) erhöhten Risiko für schwerwiegende ventrikuläre Herzrhythmusstörungen und plötzlichen Herztod assoziiert ist. Der Dopaminantagonist ist gegen Übelkeit und Erbrechen wirksam und fördert die Entleerung des Magens. Domperidon sollte laut AkdÄ in der niedrigsten wirksamen Dosis (möglichst nicht mehr als 30 mg täglich) und nicht gleichzeitig mit Medikamenten verordnet werden, die ebenfalls zu einer QT-Verlängerung führen. Besondere Indikationsstellung sei erforderlich bei Patienten mit vorbestehender Verlängerungen der QT- Zeit, bei Elektrolytstörungen, bei vorbestehenden Herzerkrankungen oder Einnahme von kardialen Medikamenten, bei Patienten älter als 60 Jahre und bei der Notwendigkeit der Verordnung von mehr als 30 mg Domperidon pro Tag.“ Die Empfehlung des Embryotoxikologischen Instituts in Berlin von März 2013 lauten daher: Die Dosis von 30mg/Tag sollte nicht überschritten werden, mögliche Komedikationen (die ebenfalls eine QT- Zeitverlängerung machen könnten) sowie eine eventuell vorbestehende kardiale Erkrankung der Mutter sind aufmerksam zu prüfen. Für den Säugling scheint die mütterliche Einnahme von Domperidon unbedenklich zu sein.
Vor der Einnahme sollten folgende Dinge abklärt werden:
Anamnese und ggf. bisheriges Stillmanagement verbessern
Schilddrüsenwerte überprüfen (sind sie grenzwertig, sollten sie behandelt werden)
Der Prolaktinwert sollte bestimmt werden (ist er entsprechend der postpartalen Zeit hoch genug, funktionieren auch pharmakologische Stimuli kaum)
Bei Familienanamnese bzw. positiver Eigenanamnese von kardialen Erkrankungen wäre ein EKG vor der Gabe sinnvoll, zumindest, wenn 30 mg/Tag überschritten werden sollen
Eine gründliche Anamnese sollte stets durchgeführt werden. IBLCE stellt immer die Gesundheit und Sicherheit von Mutter und Kind in den Vordergrund, Still- und Laktationsberaterinnen IBCLC sind laut Verhaltenskodex dazu verpflichtet, dies zu berücksichtigen. Dazu gehört immer eine gute interdisziplinäre Zusammenarbeit und ebenfalls die Aufklärung über mögliche Risiken einer Therapie.
März 2013 Europäisches Institut für Stillen und Laktation
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