S I N N O R I E N T I E R T E M E D I Z I N ( S.O.M.)*
Bewertung der Multicenterstudie: „Cardiovascular morbidity and
mortality in the Losartan® intervention For Endpoint reduction in
hypertension study (LIFE): a randomised trial against atenolol®“
[Björn DAHLÖF et al., The Lancet (2002) 359: 995-1003]
renblockern und Diuretica ist die am besten
gleich stark auf Normalwerte gesenkt (Mittel-
dokumentierte Prävention kardiovaskulärer
Morbidität und Mortalität bei Hypertonikern.
Der primäre kombinierte Endpunkt trat in
Eine linksventrikuläre Hypertrophie (LVH) ist
der Losartan®-Gruppe in 2,4% pro Jahr und
ein starker zusätzlicher und unabhängiger Ri-
in der Atenolol®-Gruppe in 2,8% der Fälle
sikofaktor. Das Ziel der Studie war es, zu un-
auf (relatives Risiko 0,87; p = 0,021).
tersuchen, ob eine selektive Angiotensin II (AT
Dieser Effekt war auf eine signifikante Re-
II)-Blockade über den Effekt einer Blutdruck-
duktion der Schlaganfälle von 1,4 auf 1,1%
pro Jahr (relatives Risiko 0,75) zurückzufüh-
linksventrikulären Hypertrophie zusätzlich die
ren, während die übrigen Einzelendpunkte
kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität
(kardiovaskuläre Mortalität, Myokardinfarkt)
nicht signifikant beeinflusst wurden. Auch beider gesamten Mortalität fand sich kein signifi-kanter Unterschied.
ter Losartan® signifikant stärker gesenkt als
Es handelt sich um eine doppelblinde, kon-
unter Atenolol®. Weiters verweisen die Auto-
trollierte, randomisierte Studie bei 9.193 Pati-
ren auf eine bessere Verträglichkeit unter Los-
enten im Alter von 55 bis 80 Jahren (Durch-
artan® sowie auf eine signifikant niedrigere
schnitt: 66,9 Jahre) mit essentieller Hypertonie
(Blutdruck im Sitzen 160-200 mm Hg systolisch
und 95-115 mm Hg diastolisch) und einer imEKG gesicherten LVH. Die Patienten erhielten4 Jahre lang eine antihypertensive Kombinati-
onstherapie, die als Basistherapeutikum entwe-der einmal täglich Atenolol® oder einmal täg-
lich den AT II-Blocker Losartan® enthielt. Pri-
allem darauf hin, dass Losartan® das Schlag-
märer Endpunkt war die Kombination von Tod,
anfallrisiko in Vergleich zu Atenolol® um 25%
gesenkt hat, was sie als substantiell und we-
sentlich ansehen, da der Schlaganfall die
Haupttodesursache in den meisten Studien der
* In dieser Rubrik werden Studienergebnisse, die im Rahmen eines gemeinsamen Forschungsprojektes des IMABE-
Instituts und der Gesellschaft für sinnorientierte Medizin unter der Leitung von Prof.Dr. Johannes BONELLI erarbei-tet werden, publiziert. Dieses Projekt wird vom Fonds Gesundes Österreich mitfinanziert.
letzten Jahre ausmacht. Als Schlussfolgerung
relativen Risikoreduktion diskutiert. Eine re-
meinen die Autoren, dass AT II-Rezeptor Blok-
lative Reduktion der Inzidenz von Schlagan-
ker eine breitere Anwendung auch in der kli-
nischen Praxis und bei der Erstellung von
immer wieder betont wird, klingt sicherlich
Richtlinien zur Blutdrucktherapie finden soll-
beeindruckend. Betrachtet man allerdings die
ten. In einem Kommentar zur Studie an die
absoluten Zahlen, so zeigt sich, dass die Ef-
Ärzteschaft meinen die Autoren weiter, dass
fekte eher bescheiden sind: es kommt zu ei-
es sich bei den „beeindruckenden Resultaten“
ner Reduktion der Inzidenz von Schlaganfäl-
der Studie um eine „aufregende Neuigkeit,
len von 1,4% (Atenolol®) auf 1,1% (Losar-
weil überlegenen Erfolg von Losartan® über
andere Antihypertensiva handelt, die einen Pa-
Dieses Ergebnis wird weiter relativiert, wenn
radigmenwechsel zur Folge haben, der sich
man bedenkt, dass der Schlaganfall nicht ver-
in der täglichen klinischen Praxis niederschla-
hindert, sondern nur um einige Zeit hinausge-
gen sollte und einen neuen Standard in der
zögert werden kann. Dabei muss zunächst fest-
Therapie der Hypertonie eingeführt hat.“ In
gehalten werden, dass sich die Gesamtmorta-
einem Bericht über die 51. Wissenschaftliche
lität in beiden Gruppen nicht signifikant von-
Jahrestagung des American College of Cardio-
einander unterscheidet (1,7 bzw. 1,9%). Dies
logy (ACC) am 20. März 2002, bei der die Er-
ist auch nicht verwunderlich, weil die Morta-
gebnisse der Studie erstmals präsentiert wur-
litätsraten nicht höher liegen als bei der Nor-
den, ist sogar von einer „Revolution und von
malbevölkerung2 . Weiters ist zu berücksichti-
neuen Maßstäben in der Hochdrucktherapie“
gen, dass die Mortalitätsraten höher liegen als
die Inzidenz der Schlaganfälle (1,08 Losartan®bzw. 1,45 Atenolol®). Dadurch kommt dermögliche therapeutische Effekt von Losartan®
auf die Schlaganfallinzidenz insbesonders imhöheren Alter kaum mehr zum Tragen. In Ta-belle I (Spalte 1-4) wurde die zeitliche Verschie-
bung des Schlaganfallereignisses nach den Kri-terien der Sinnorientierten Medizin3 in den
verschiedenen Altersgruppen errechnet (Be-
sierte, kontrollierte Doppelblindstudie (Mor-
bidität und Mortalität), der normalerweise ein
Frauen gemäß der Studie 54% : 46%). Daraus
hoher Evidenzgrad zugesprochen wird. Aller-
ist ersichtlich, dass bei einem 55 Jahre alten
dings muss angemerkt werden, dass die Ef-
Patienten noch eine Behandlung mit Losart-
fektivität der doppelblinden Anordnung inso-
an® über 24 Jahre erfolgen kann (EEL), wo-
fern eine gewisse Einschränkung erfährt als bei
durch ein Schlaganfall um 1,5 Jahre hinausge-
Patienten, die mit Beta-Rezeptoren-Blockern
mehr 13 Jahre behandelt und eine Verzöge-
Rezeptor-Antagonisten eine registrierbare
rung um 0,5 Jahre, bei einem 80jährigen Pati-
Herzfrequenzsenkung zu erwarten ist, die in-
enten um 0,17 Jahre (= 2 Monate) erreicht wer-
direkt den doppelblinden Ansatz relativiert.
den (vgl. Tabelle I, Spalte 4 – Gewinn durchLosartan®). Daraus ist ersichtlich, dass der
Stufe II: Quantitativer Nutzen (Relevanz)
quantitative Nutzen einer Losartan®-Therapieim Vergleich mit Atenolol® ab dem 65. Le-
bensjahr nur mehr wenige Monate beträgt und
von den Autoren in erster Linie anhand der
vorzugte Behandlung von Hypertonikern mitAT II-Blockern zumindest nach dem 65. Le-
Bei der Analyse der Verhältnismäßigkeit
bensjahr praktisch bedeutungslos ist.
müssen der Nachteil bzw. Aufwand gegen dieVorteile aufgewogen werden.
steht darin, dass zumindest im höheren Alter
Ein wichtiger Faktor bei der Beurteilung der
Verhältnismäßigkeit einer neuen Therapie ist
bevor der Vorteil einer AT II-Blockertherapie
auch die Kosten/Nutzen-Relation. Dazu kann
zum Tragen kommt. Dies schlägt sich in der
die Anzahl der Behandlungsjahre errechnet
Tatsache nieder, dass keine signifikante Ver-
werden, die notwendig sind, um ein ereignis-
besserung der Gesamtmortalität und im hö-
freies Jahr hinzuzugewinnen (number of Tre-
atment Years for one year Eventfree Lifetime
Schlaganfallinzidenz erzielt werden konnte
Gain = TYEG). Sie errechnet sich aus EEL/
EELG. Daraus lassen sich die Mehrkosten für
Als Maß für die Beurteilung der Verhältnis-
mäßigkeit dieser Ergebnisse kann auch die
(Tabelle I, Spalten 6 und 7): Die Tageskosten
Effektivität (E) nach den Kriterien der Sinnori-
für Atenolol® 100mg wurden mit 0,5 •, für
Losartan® 100 mg mit 2,8 • angesetzt. Das
den. Sie errechnet sich aus dem Verhältnis von
ergibt Mehrkosten für Losartan® von 2,3 • pro
Tag bzw. 839,5 • pro Jahr. Die Berechnung
[E = (EELG x 100)/ Behandlungsdauer]. Ein
der Daten bestätigt zunächst die geringe Ef-
Effektivitätswert = 100% kann als ausgezeich-
fektivität einer alternativen Behandlung mit
netes Ergebnis gewertet werden (z.B. Insulin-
therapie beim Typ I Diabetes, bei der die Be-
längst mit dem Tod gerechnet werden muss,
handlungsdauer mit der Lebensverlängerung
bevor ein zusätzlich ereignisfreies Jahr erreicht
= Gewinn gleichzusetzen ist), während Wer-
werden kann (bei einem 80jährigen Patienten
te <5% wenig Relevanz haben. In Tabelle I
wäre dazu ein Behandlungszeitraum von 46
(5. Spalte) sind die einzelnen Effektivitätswer-
Jahren nötig – vgl. Tabelle I, Spalte 6). Weiters
te für die verschiedenen Altersgruppen berech-
zeigen die Daten, dass auch die fiktiven Ko-
net. Auch daraus geht hervor, dass eine be-
sten für ein gewonnenes Lebensjahr zuneh-
Tabelle I: Berechnung des quantitativen Nutzens einer Therapie mit Losartan® im Vergleich mit Atenolol® aufBasis der LIFE-StudieLegende: EEL – Expected Event-free Lifetime; EELG – Expected Event-free Lifetime Gain; E – Effectiveness;TYEG – Number of Treatment Years needed to gain an additional Event-free Year; C
Free Year of Lifetime; (a) – Jahre.
mend steigen, d.h. die Effizienz der Behand-
die Effektivität (E) der Studie gering ist, weil
lung mit dem Alter rapide abnimmt (Tabelle I,
viele Behandlungsjahre nötig sind, um eine
relevante zeitliche Hinausverzögerung einesSchlaganfalls zu erreichen (vgl. Tabelle I, Spal-
te 6). Zumindest ab dem 65. Lebensjahr kannkaum mehr ein Behandlungsvorteil erzielt
werden, weil er durch die geringe Lebenser-
auf hin, dass unter Losartan® weniger Ne-
wartung zunehmend limitiert wird (vgl. Tabelle
benwirkungen auftreten als unter Atenolol®.
I, Spalte 4). Da die Therapie mit AT II-Rezep-
tor-Antagonisten jedoch erhebliche Mehrko-
rapie ein wichtiger Faktor in der Nutzen/Risi-
sten verursacht, ist sie als Basisbehandlung der
ko Abwägung sind, muss im vorliegenden Fall
ersten Wahl zumindest im höheren Alter we-
darauf hingewiesen werden, dass die Unter-
gen ihrer geringen Effizienz auch bei Hochri-
schiede nur gering waren und in erster Linie
sikopatienten kaum zu rechtfertigen und we-
auf die erwartbaren wirkungsspezifischen Ef-
fekte von Beta-Rezeptoren-Blockern zurück-
zuführen sind (Bradycardie, kalte Extremitä-
den, dass die Verordnung von AT II-Rezeptor-
ten, Atemnot) und sicherlich keinen ernsthaf-
Antagonisten als Mittel der ersten Wahl in der
ten Grund darstellen, AT II-Rezeptor-Antago-
Hypertoniebehandlung nicht gerechtfertigt ist.
nisten als Mittel der ersten Wahl allen ande-
Insbesondere gibt es keinen Grund für eine
generelle Übertragung der Ergebnisse auf alleHypertoniker. Die Forderung nach einem „Pa-
radigmenwechsel“ in der Hypertoniebehand-lung auf Grund dieser einzigen Studie bei ei-
Zunächst muss erwähnt werden, dass sich
nem eingeschränkten Patientenkollektiv ist
die Ergebnisse der Studie nur auf eine kleine
daher in keiner Weise nachvollziehbar.
Gruppe von Hypertonikern, nämlich auf sol-
Am ehesten dürften junge, schwere Hyper-
che mit einer LVH und relativ hohen Blut-
toniker mit Linkshypertrophie und zusätzli-
druckwerten (Durchschnitt 174/98) beziehen.
chen vaskulären Risiken bzw. Diabetes einen
Außerdem waren es vor allem Hochrisikopa-
gewissen, wenn auch leichten Profit haben
tienten, die von der Therapie nachweisbar pro-
fitiert haben, während die Effekte bei Patien-
Die Ergebnisse sind interessant, aber für
ten im niedrigen Risikobereich (ohne manife-
eine Änderung im Stufenplan der Hypertonie-
ste Gefäßerkrankung oder Diabetes) deutlich
geringer waren. Eine generelle Empfehlung füreine breite Anwendung dieser kostspieligen
Therapie auf alle Hypertoniker, wie dies die
1. WOISETSCHLÄGER C.H., Ärztewoche 17. April 2002
Autoren tun, ist allein schon aus dieser Per-
2. Sterbetafel für Österreich 1990/1992
3. BONELLI J., PRAT E.H., Sinnorientierte Medizin (S.O.M.). Para-
digmawechsel in der Medizin: von der Machbarkeit zur Sinn-
Aus der Perspektive einer Sinnorientierten
haftigkeit – Medizin für den Einzelfall, Imago Hominis (1999)
Medizin (S.O.M.) ist weiters zu sagen, dass
Der MDR1-Defekt – auch beim Australian Shepherd ! Als man mich – Halterin von zwei Collies mit dem MDR1-Defekt und somit Betroffene – recht kurzfristig um einen Artikel für diese Vereinszeitschrift fragte, stand ich vor dem großen Problem, wie ich alle bisherigen Erkenntnisse in einem doch recht kurzen Text zusammen-fassen könnte. Vorab sei dem Leser daher dringend ans Herz gelegt, sich m