Ein Urlaub in Amerika Continental Airlines hieß die Fluggesellschaft, mit der wir nach New York flogen. Die amerikanischen Airlines sind diebesten, mit denen ich bis jetzt in der Economy-Class geflogen bin. Es gib relativ viel Platz zwischen den Sitzen undReihen, man streckt genüsslich die Beine aus, es gibt, wie auch auf den anderen langen Routen, langweilige Unterhaltungund es herrscht Ordnung im Flugzeug. Wir flogen über England, über die Routen der Wikinger, vorbei an Greenland undSüdost-Kanada. Als das Flugzeug über den Flughafen Newark in New Jersey seine Kreise drehte, erschien in denBullaugen das völlig irreale Panorama New Yorks mit den vielen Wolkenkratzern am Hudson-River. Der FlughafenNewark ist einer der bequemsten von New York, obwohl er sich in einem anderen Bundesstaat befindet. Nachdem wir die Passkontrolle durchschritten und unser Gepäck für den weiteren Flug nach Las Vegas aufgegebenhatten, gingen wir zu vielen Restaurants und Cafés, um etwas zu essen. Die schönen Koffer schmissen die Flughafenjungsziemlich brutal mit dem Gepäck der anderen Passagiere zusammen und wir gingen erleichtert ins McDonald`s. Vorbei anuns liefen Leute mit fantastischen Hautfarbtönen und Gesichtszügen. Neben einem der vielen Kioske, die Nüsse verkaufen,stand ein älterer Herr, der aussah wie ein Vertreter der alten jüdischen Intelligenzija im vorgeschrittenen Alter irgendwoin Moskau, St. Petersburg, Tel Aviv oder auch in New York. Er redete auf einen frechen und ziemlich blöden jungenPuertoricaner ein, der sich seinerseits schreiend mit seinen Verkäuferinnen auf Spanisch unterhielt. Der jüdische Opa ausNew Jersey war sehr gütig, korrekt und bekniete förmlich diesen wilden Hispano-Sioux Englisch und nicht Spanisch zusprechen; der freche Gaucho plapperte unbekümmert weiter Spanisch mit seinen ununterbrochen Kaugummi kauenden,dicken Senoritas. Wir verließen die Stätte des Kulturkampfes, um uns nach dem achtstündigen Flug ein wenig zu bewegen,- vor uns lag noch ein vierstündiger Flug in die Wüste Nevada. Wir hatten diese Route noch in Deutschland gebucht, umnicht so lange im Flugzeug zu sitzen, dafür mussten wir jetzt bei brütender Hitze in Newark ausharren. Vor der Lounge unserer Airline saßen schon mehrere Engländer, die nach Vegas gebucht hatten. Langsam kamen nochverschiedene andere Passagiere dazu, es wurde lauter und bunter. Es war sehr warm. Als alle schon circa zwanzig Mal dieToilette besucht hatten, kamen die Stewards und wir wurden ohne weitere Probleme ins Flugzeug gebracht, welches nur zuHälfte besetzt war. Die ausgebufften weiblichen Profis unter den Passagieren für Las Vegas–Flüge beanspruchten für denSchlaf gleich zwei Sessel und legten sich sofort hin. Als wir Las Vegas anflogen, war dort noch später Nachmittag und dieWüste funkelte violett, blau und gelb. Wir sahen aus der Luft unser gebuchtes Hotel Luxor, den Nachbau einer ägyptischenPyramide, gleich neben dem Flughafen mit einer gigantischen Sphinx vor den Türen. Es war ein Gefühl als ob manirgendwo in Israel, in der Wüste Arava bei Eylat landete,- hier aber war alles viel größer. Einen schicken Flughafen habendie Amerikaner in Las Vegas und überall, auch neben der Toilette stehen dort die einarmigen Banditen. Auf unsere Kofferwarteten wir über eine Stunde vergeblich: ein Koffer und eine Tasche waren verschwunden. Den Verlust meldeten wirschließlich, und die Dame im Büro am Flughafen versprach uns, dass die Gepäckstücke gefunden und uns ins Hotelgebracht würden. Obwohl ich ihr nicht geglaubt hatte, hielt sie ihr Wort.
Da unser Hotel sich nach meinen Beobachtungen aus der Luft gleich neben dem Flughafen befand, fragte ich einen
Pagen wie man am besten den Highway überquert, den ich aus der Luft gesehen habe. Der guckte mich wie einenMeschuggenen an und brachte uns zum Bus. Es dauerte etwa vierzig Minuten, bis wir am Hotel ausstiegen und, unsereRollis hinterher schleppend, in die riesige Lobby eintraten. Irgendwelche anderen Hotelpagen kamen mit einemGepäckwagen, nahmen unsere Koffer und versprachen uns, sie innerhalb einer halben Stunde aufs Zimmer zu bringen. Alles war in diesem Hotel gigantisch, allein in der Empfangshalle gab es mindestens zwanzig Portiers.
Die Tür unseres Zimmers im linken Turm öffneten wir mit einer elektronischen Karte und kamen in ein ägyptisches
Apartment. Alles hier war ägyptisch: die Betten, die Möbel und die Toilette. In der Toilette konnte ich zum ersten Mal eineamerikanische Besonderheit bewundern, die für mich auch jetzt noch ein wenig befremdlich aussieht: DieToilettenschüssel war nicht wie im alten Europa leer, sondern voll Wasser wie einer der Swimmingpools in dieserschönen Reißbrett-Stadt. Es ist aber für einen nicht eingeweihten Europäer schwierig, ein Swimmingpool als Toilette zubenutzen. Wir riefen unsere Freunde in Los Angeles an und quatschten ein wenig. Tamara sagte, dass wir unbedingt dieShow „The Circus of O“, den Zirkus der Wasser, eine Schau der Superlative im Bellagio sehen sollten. Sie selbst habe sienoch nicht gesehen, aber man erzähle, dass es etwas Überwältigendes sei. Also wollten wir auch zu dieser Show insBellagio-Hotel gehen, aber wir hatten nichts anzuziehen. Telefonate in die Rezeption:
„Ja-ja, Ihre Koffer sind unterwegs und bald bei Ihnen in Zimmer“.
Eine halbe Stunde, eine Stunde mit weiteren Telefonaten vergeht, bis ein Klopfen an der Tür uns erlöst. Ich fange an zubrüllen, in meinem fürchterlichen Englisch, und der Hotelpage bekommt einen komischen Blick. Fünf Dollar in die Handdes Jungen, der an solche Ausbrüche nicht gewöhnt zu sein schien. Wir ziehen uns schnell um und laufen zum
Haupteingang. Der Taxifahrer war ein Russe aus Novosibirsk, der bereits sechs Jahre in dieser Glitzerwüste lebte. Er prophezeiteuns, dass wir im Bellagio keine Eintrittskarten bekämen, weil diese Show schon für Monate, wenn nicht für Jahre imVoraus ausverkauft sei. Hundertfünfundachtzig Dollars pro Eintrittskarte bewiesen aber das Gegenteil: Im Kapitalismusbestimmt der Preis alles. Es waren auch keine schlechten Plätze auf dem Balkon vorne. Während der Show, kamen immerwieder Nachzügler, die offenbar das Geheimnis der Hundertfünfundachtzig-Dollar-Karten ebenfalls kannten. Es erklangenirgendwelche jüdischen und bessarabischen Melodien, meine Augen aber drohten nach zwölfstündigem Flug sich zuschließen, wozu es aber nicht kam. Die Bühne verwandelte sich immer wieder in irgendwas anderes, mal in einengigantischen Swimmingpool oder ein anderes Mal in eine fantastische, surrealistische Szene, über die ein Mann mit einerZeitung in seinen Händen ging, und alles, der Mann und die Zeitung, stand in Flammen. Einer der Schauspieler kam auf dieBühne, steckte seine Hand in eine Schlaufe und wurde mit einem Schwung hoch auf das Trapez gebracht, das Ganze mitsolch einer Profi-Eleganz, als ob es einen Scheißdreck wert sein sollte, zu den Bühnenmaschinen so hoch empor ganz ohneSicherung zu steigen. Ich konnte nicht mehr schlafen, ich war voll bei der fantastischen Show und voll diesermerkwürdigen Musik, die so europäisch klang.
Als die Vorstellung vorbei war, gingen wir hinunter in die heiligen Hallen des Hotels, wo überall gespielt wurde.
Dort wo keine Automaten standen, waren verschiedene Boutiquen. Wir gingen auch zu den Tischen, spielten eine Stundeund verloren Hundert Dollar. Mit CDs und Kassetten, leider nicht von der gesehenen Show, gingen wir in die Nacht vonLas Vegas. Vor der Hotel-Balustrade gibt es einen künstlichen See, hier steht ein Eifelturm, dort ein Wolkenkratzer vonNew York. Am Eingang stand ein riesiger amerikanischer Pick-up, übersät mit blitzendem Nickel, und auf demNummernschild stand „Lucky“ geschrieben. Ob es ein Gag der Hoteldirektion oder einfach ein reicher amerikanischerSpleen war, dass weiß ich nicht, aber es wirkte. Wir gingen in der nächtlichen Hitze von 38 Grad durch den Strip zurück zum Luxor zu unserem Zimmer mitüberschwemmten Toiletten. Das aber war ein gewaltiger Spaziergang in der Hitze der Nacht durch die funkelnde, nichtschlafende Stadt, voller friedlicher Amerikaner, die hier ihr Wochenende verbrachten. Kindermärchen undComputerspiele, in Zement und Glas gegossen, waren rund um uns herum. Als wir ins Hotel kamen, war es schon vier Uhrfrüh und wir hatten schon über 24 Stunden nicht geschlafen.
Die Toilette mit dem Miniatur-Swimmingpool und die Dusche funktionierten gut an diesem Morgen. Ich fand aber in demApartment keinen Fernseher, nur irgendwelche Schränke. Als wir einen von ihnen öffneten, stand dort der Fernseher, denwir verzweifelt gesucht hatten. Das ist eine altmodische amerikanische Besonderheit: ein Schrank mit einem Fernsehgerät,in jedem Hotel und im jedem Haushalt steht ein solch spezieller Kasten. Um zwölf checkten wir uns aus und fuhren mitdem Taxi zum Autoverleih, wo wir den Wagen noch von zu Hause aus über den ADAC gebucht hatten. Unser Taxifahrerhatte einen Bart, einen Riesenschnauzer und noch einen Turban dazu. „Woher kommen Sie?“, fragte ich. „Aus Indien“, antwortete der Turban mit einem spezifisch indischen Akzent. Und er erzählte mir noch zehn Minutenüber Indien. „Und was für eine Religion haben Sie?“, fragte ich. „Ich bin Sikh“, antwortete mir stolz der Inder. „Sikh sein ist sehr schön, sind Sie aber nicht ein Moslem?“, fragte ich wieder. Der Fahrer wurde unzufrieden: „Meine Religion ist Sikh. Mein Bart und mein Turban gehören zusammen.“
Im Autoverleih stand eine Reihe sehr großer und sehr farbiger Amerikaner, die hatten Oberarme wie mein Hals
oder meine Oberschenkel. Die Amerikaner sind passionierte Schlangesteh-Menschen, und ich stellte mich auch hinten an. Die Frau am Schalter fischte unsere Bestellung aus Deutschland heraus und blickte skeptisch:
„Wenn Sie wirklich eine Reise durch Nevada und Kalifornien machen wollen, dann brauchen Sie einen anderen
Sie überzeugte mich, und ich nahm dann doch einen Chevrolet-Geländewagen mit Automatik. Entgegen aller
Werbung und Prahlerei der Deutschen zu Hause, fahren die Amerikaner bei sich in den USA vor allem amerikanischeModelle. Einen deutschen Wagen hatten sie einfach nicht im Angebot. Jetzt, motorisiert, fuhren wir zu McDonald`s zumFrühstuck. Die amerikanischen Portionen waren riesig, viel teurer, aber nur zum Teil so gut wie zu Hause. Wir suchten jetzt nach der Ausfahrt zur Autobahn nach L.A. Das fantastische Nachtmärchen von Las Vegas entpupptesich tagsüber als eine riesige, zubetonierte Millionen-Stadt mit eigener Universität. Ohne Navigator verirrte ich mich indiesem Labyrinth von Baustellen, Hotels, Highways und Freeways, und so bereisten wir ganze riesige Stadt. Spät amNachmittag waren wir endlich auf dem Freeway, der keine Hinweisschilder auf Ortsnamen sondern nur mitStraßennummern auswies, dafür aber mit Werbung zugepflastert war. Nach 30 Meilen erklärte uns ein Tankwart, dass wirin die verkehrte Richtung nach Phoenix, Arizona fuhren. Also drehten wir ein letztes Mal um. Wir fuhren durch eine
faszinierende Wüste, vorbei an unzähligen Hotels, Casino-Palästen, Ressorts, Factories-Outlets und Siedlungen desStaates Nevada direkt an der Grenze zu Kalifornien, wo noch vor 30-40 Jahren in etwa 100 km Entfernung unterirdischeAtomversuche gemacht wurden. Da hörten wir im Radio ein amerikanisches Wunder: ein Jazz-Programm vom Feinsten. Jetzt realisierte ich endgültig, dass ich wirklich in den USA und unterwegs nach Hollywood war. Auf der ADAC-Karte sah unsere Fahrtroute ganz einfach und gerade aus. Tatsächlich aber fuhren wir abends und inder Nacht an unzähligen Städten und Städtchen, an ausgestorbenen Tankstellen mit Pächtern, die gleich vor der Tür ineinem Camping-Sessel schliefen, vorbei. Als eine ganz große Enttäuschung entpuppten sich mexikanischeFast-Food-Restaurants, deren Menu weit entfernt von den Cowboy-Delikatessen aus Hollywood-Filmen war – besondersdie Soßen hatten einen sehr unangenehmem Geschmack. Sie waren fast genauso ekelhaft wie der Kaffee in denSchnellrestaurants, dafür aber war die Menge an diesem Spülwasser unbegrenzt. Anders sieht es in Amerika inspezialisierten Cafes aus; dort wurde ein Klasse-Kaffee serviert, der aber viel teurer war.
Die Freeways in L.A. sind sehr unübersichtlich, besonders was die sachlichen Hinweise betrifft. Alles in Amerika läuftmit den Nummerschildern der Strassen, die überall ausgezeichnet sind, aber man muss sich an die gewöhnen. Auf denStrassen ist sehr viel Werbung, und es ist schwierig, die richtige Richtung zu finden. Wir hatten nachts Angst vorÜberfällen, wie sie in vielen Filmen gezeigt werden. Aber niemand griff uns an, außer einem schwarzen Obdachlosen aufeiner Tankstelle, der unbedingt unsere Ausfahrt aus der Tankstelle regulieren wollte und einen Dollar dafür kriegte. Im West-Hollywood war es leer auf den Straßen, nur ein paar Huren und Junkies, die nicht in der Lage waren zusprechen und nur muhten. Ein Latino-Zeitungsbote erklärte uns endlich, wo das Hollywood Roosevelt Hotel liegt, und umvier Uhr morgens kamen wir zu einem grauen Betonschuppen, dessen Lobby verlassen und dunkel war. Die Nachtportiers,ein Junge aus Ägypten und eine Iranerin, kamen verschlafen aus den Nachtsverstecken und erledigten die Formalitäten. Wirfielen ins Bett und schliefen bis elf. Tagsüber entpuppte sich dieses Hotel zwischen riesigen Baustellen als eine Perle aus vergangenen Zeiten. Dieungemütliche, nächtliche Lobby sah tagsüber zauberhaft aus. Die hohen Decken der Halle waren mit dem berühmtestenDekor der Film-Welt bemalt: Die erste Oskar-Verleihung der Geschichte hatte genau hier statt gefunden und noch heutesteigen während der Festivitäten alle, die etwas auf sich halten, hier ab. Am Ausgang zum Hollywood-Boulevard saß aufeiner bronzenen Bank ein ebenfalls bronzener Charly Chaplin. Dies ist ein beliebter Treffpunkt und die Portiers im Hausesagen der Kundschaft immer wieder:
„Warten Sie dort neben Charly auf Ihr Taxi“. Oder:„Der Bus kommt bald. Warten sie bitte noch ein paar Minuten neben Charly“.
Gleich gegenüber dem Hotel steht das berühmte Chinese Theater, das vom Sony-Konzern umgebaut wurde. DerBürgersteig entlang des Boulevards und der im Hof des Theaters sind mit den Hand- und Fußabdrücken von berühmtenSchauspielern, Produzenten und Kameramenschen ausgepflastert. Und hier hat jeder seinen Stern.
Wir fuhren mit dem Bus in einer riesigen Metropole, die aus mehr als 60 Städten und Gemeinden besteht. Der
Fahrer fuhr uns auch durch Beverly Hills, wo wir mit Respekt vor den verschlossenen Toren von Herrn Spielberg, FrauTaylor und all den anderen standen. Dann kamen unsere Freunde, die schon 20 Jahre hier leben und wir fuhren zumLokalJeoffrey`s, an der Küste. Wir wollten eigentlich die Villa von Getty sehen, aber kamen mit dem Lexus unserer Freunde biszum Jeoffrey`s an der Küste von Malibu, das in Nebel eingehüllt war. Die allgegenwärtigen, männlichen oder auchweiblichen Valets holten den Wagen unserer Freunde und parkten ihn ein. Das ist eine noble amerikanische Tradition: Manparkt die Autos von Kunden, früher waren es die Pferde und Kutschen der Reisenden. Davon leben in USA Tausende vonMenschen. Eine Art Arbeitsbeschaffung auf Amerikanisch. Später fuhren wir in ein gemütliches, armenisch-russischesLokal, wo man wunderbares Schaschlik, ähnlich dem in Moskau oder in Eriwan, essen konnte.
Seit dem Ende der UdSSR zerfällt das Leben im Kaukasus, viele Armenier verließen ihre Heimat am Fuße Ararats
und kamen nach Amerika, wo es eine einflussreiche und wohlhabende armenische Gemeinde vor allem in der Stadt Fresnoin Zentral-Kalifornien gibt. Fast alle kamen zunächst nach Fresno, welches mit der Zeit zu einer Art autonomerarmenischer Republik in Amerika wurde. Am nächsten Tag vereinbarten wir, ins Spago zu gehen, landeten aber in Bohème, wo die Preise viel ziviler waren. In dem Restaurant war neumodisch fast völlig dunkel und die Kellner servierten miteinem Lämpchen an der Stirn. Gut, dass ich in meinem Fotoapparat neue Batterien eingelegt hatte. Unser Freund Leonid,der ungewöhnlich ruhig war, starb ein halbes Jahr später an Speisröhrenkrebs. Als der Kellner uns fotografierte, wusstenwir noch nicht, dass es unsere letzte gemeinsame Mahlzeit sein sollte.
Den letzten Tag in L.A. verbrachten wir ununterbrochen fahrend viele Stunden auf den Autobahnen, in stiller
Hoffnung, in Venice anzukommen – wir haben es nicht geschafft. Das traurige Resultat unserer Bemühungen war einSchaukelritt auf amerikanischen Freeways zwischen Anaheim und San Fernando. Endlich, beim hübschen StädchenWilshire an der Küste, bogen wir auf den legendären PCH, den Pacific Coast Highway, und kamen an der Küste entlang
nach Santa Monica mit seinen wunderbaren Sandstränden, und dann weiter nach Malibu.
Die Städtchen der Millionäre an der langen Küstenhauptstraße begrüssten uns mit Nebel und dem Geschrei von Möwenund Pelikanen. Wir gingen am Pier spazieren und beobachteten, wie die Pelikane ununterbrochen Fische aus dem Wasserzogen. Die Piere sind in Amerika sehr pragmatisch: in regelmäßigen Abständen sind an den Handläufen Eisenhaken für dieRuten der Angler angebracht. Wind, Sonne und besonders Nebel machen die Hitze in Malibu erträglich. Die Gottschalks,Schwarzeneggers und andere Prominenz haben wir nicht gesehen, - Sie alle leben hoch über der Stadt auf den Hügeln.
Der Besitzer eines kleinen Burger-Restaurants war nett und sprach Englisch auf unserem Niveau. Er war
maronitischer Christ, der während des Bürgerkrieges im Libanon, nach der Ermordung von Präsident Baschir Gemayel,nach Amerika gekommen war. Wir sprachen über den Krieg, Palästinenser, Schiiten, Sunniten, Israel und die Zukunft. DerMann kam aus dem Süd-Libanon, von wo die Christen vertrieben worden waren, und es gab für ihn jetzt keine Heimatmehr in seinem phönizischen Land am östlichen Mittelmeer.
„Und wie ist der Bruder von Gemayel?“ – fragte ich. „Den kann man vergessen. Er hat sich mit den Muslimen arrangiert und verdient viel Geld. Gemayel wareinzigartig, nur der konnte die christliche Gemeinde Libanons verteidigen und schützen. Jetzt ist alles vorbei undlängst entschieden“, - sagte der Restaurantbesitzer müde.
Aus unserem Zimmer im Motel Malibu mit der obligatorischen, gewöhnungsbedürftigen Toilettenschüssel voller Wassereröffnete sich ein wunderbarer Blick auf den Ozean und aus dem Badezimmer auf dem grünen Hügel, wo diesubtropisch-grün wachsenden Dschungel-Pflanzen in die Höhe kletterten.
Die anderen Gäste waren Sportler. Das hieß, dass uns die Ärzte und Rechtsanwälte, alle mit teuren Jeeps und
Surfboard auf dem Dach, trotz ihrer Bäuche cool und streng, also sportlich, uns anschauten. Als wir am nächsten Tag gegenMittag wegfuhren, lagen die vielen Boards noch jungfräulich auf den Dächern der PKWs verschnürt.
Wir fuhren den PCH einfach weiter, in Richtung Norden. Der Nebel verschwand zunehmend, die viele Dünen von
links waren durch Restaurants, Clubs und Hotels besetzt. Es erschienen sonnige, unendliche Strände. Es waren wenigeMenschen da und es herrschte eine herrliche, frühherbstliche Melancholie. Wir fuhren vorbei an weiteren Dünen, wo beimStop eine merkwürdige kalifornische Tierspezies Halb-Eichhörnchen und Halb-Ratte auf uns zu kam und um Krümelbettelte. Wir passierten unendlichen Wiesen und Blumenplantagen mit Berieselung, und in den kleinen Städtchen und anden Tankstellen, überall schufteten die tüchtigen Amerikaner für ihren Traum, der sich in dieser Sonne so schön wieirgendwo in Lothringen oder im Saarland am sonnigen Sommertag ausnahm.
Es wurde dunkel, wir fuhren in ein Städtchen mit dem verräterischen, wahrscheinlich, russischen Namen, PismoBeach. „Pismo“ bedeutet auf Russisch „Brief“. Schon in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts hatten die russischenZaren ihre erste Tranche von Amerika, noch vor Alaska, an die USA abgetreten. Und es waren die russische Kosaken undHändler, welche die Küsten Nord- und Zentralkaliforniens kolonisiert hatten. Die Amerikaner mögen nicht darüber vielsprechen.
In einem ziemlich dreckigen Supermarkt kauften wir etwas Essen und Trinken. Es war ein mexikanisches Geschäft,
und überall in der Auslage die Poster der heiligen Mutter Gottes von Guadalahara hing. Ein amerikanisches Städtchen istnachts sehr konservativ und zugeknöpft, die Bürgersteige sind hochgeklappt und fast ohne Beleuchtung. Am Ende wurdenwir nicht erschossen oder ausgeraubt, auch die finster blickenden, erstaunlich freundlichen Mexikaner haben uns nichtsangetan. Wir fanden ein ziemlich dreckiges, dafür aber teures Motel und gingen zu Bett.
Morgens sah die düstere Nachtstadt sehr freundlich aus. Wir fuhren zu einem schicken Supermarkt in der Mall-Meile mitsehr höflicher Bedienung und ausgezeichnetem Service, von dem man in Deutschland nur träumen kann. Der Sandstrandwar leer, nur die reichen Pensionäre gingen mit ihren Hunden spazieren. Es war sehr kompliziert aus Pismo Beachhinauszufahren, entgegen der Route, die uns nachts hier hineingeführt hatte.
Wir fuhren wieder über das Highway Richtung Norden nach San Simeon und an uns vorbei wechselten sich üppige
Berge und Wiesen ab, und man konnte kaum glauben, dass man nicht in einer Dokumentarfilmvorführung sitzt. Heute warder Tag des Hearst-Castle, das schon als Kulisse für den Film Citizen Kane von Orson Welles diente. Wie überall inAmerika ist hier alles sehr kommerzialisiert. Unten, in einer Bodenstation, umgeben von einer einmaligen mediterranenLandschaft, stehen die Toiletten, die Andenken-Shops, Cafés und Restaurants. Unseren Geländewagen ließen wir auf demParkplatz der Station, und schon standen wir in der Reihe neugieriger Touristen. Der amerikanische Busfahrer undFreizeit-Cowboy hatte offensichtlich einschlägige Kriegserfahrungen und war voller Ehrgeiz, mit uns zusammen in denAbgrund zu fallen. Es fuhr mit mindestens 80 Sachen bergauf!
Die weibliche Reiseführung, mit Amish-Strohhüten bewappnet, begleitete uns über ein faszinierendes Stück
amerikanischer Kunst- und Architekturgeschichte. Der Blick vom Hearst-Hügel herunter ist noch schöner, als von unten;die pazifische Küste im leichten Nebel, die goldenen Hügel um uns, faszinierende Gärten in der Festung des
Presse-Moguls, dessen Enkelin in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts gekidnappt wurde und nach gründlicherGehirnwäsche als Tania mit einer Maschinenpistole in der Hand Banken überfiel. Hearst selbst ist eine widersprüchlicheFigur: Einerseits verkörpert er den konservativen amerikanischen Traum, andererseits liebäugelte er mit den italienischenFaschisten und den deutschen Nazis. Obwohl er offensichtlich an die architektonischen Traditionen eines PräsidentenJefferson anknüpfen wollte, wurde vieles vor seiner Sprunghaftigkeit und Lebensgier in diesem Schloss eingebaut. Alleswirkt sehr eklektisch, sehr zusammengewürfelt, auch die Dinge, die eigentlich nicht zusammengehören, - so Taufbecken ausItalien und persische Fayence gepaart mit koreanischen Motiven. Schön ist ein schnuckeliges pseudogriechisches Beckenmit Kopien weißer Marmorplastiken. Der Multimillionär hatte sich einfach die künstlerischen Freiheiten genommen,offensichtlich ohne sich vorher gründlich beraten zu lassen. Eine Kirche und Kapelle an der Spitze des Hügels entpupptesich als Fata Morgana: es handelt sich um einen Repräsentationsraum im europäisch-spätmittelalterlichen Stil mit Kamin. Im Freien weiße Skulpturen, Marmorkopien aus Italien und Griechenland, - und überall fantastische Bäume, Blumen unddie Luft voller Zauber. Die Volièren des privaten Zoos stehen heute leer, scheinbar eine der Ideen, die sich nicht am Bergdurchzusetzen vermochten. Aber auch für einen so superreichen Exzentriker wurde dieses Schloss am Ende seines Lebenszu kostspielig. Er wurde an den Staat Kalifornien und Universität von Berkeley verschenkt, damit verrechnete man dieSteuerschulden des Moguls. Das Schloss ernährt heute Generationen von amerikanischen Kunsthistorikern undNaturschützern, wie auch die Souvenirindustrie und die beiden Restaurants an der Bodenstation. Zurück, d.h. bergab,rutschten wir schon mit 100 km/h. Offensichtlich wollte uns der Cowboy am Steuer seine ganz große Klasse beweisen,was ihm tatsächlich gelang, denn alle waren froh, heil unten anzukommen: Auf den Aufnahmen, die wir zum Andenken vorder Fototapete des Schlosses im Hintergrund gemacht hatten, sind noch unsere ziemlich weit aufgerissene Augen. nachdieser Bergralley zu erkennen.
Die Küste wurde felsiger und rauer, der Pazifik rauschte links, fast unter unseren Rädern. Ab und zu tauchtenPlatanen-Wäldchen, mit dem romantischen, englischen Namen Sycamore-Trees auf, bewacht von den uniformiertenRangern der Naturschutzbehörde. Die Amerikaner sind der Meinung, dass alles hier sehr der Bretagne ähnelt, aber es istalles viel eigenartiger, rauer, halt Kalifornien. Die Sonne war unten in L.A. geblieben, hier herrschte Nebel und dieMelancholie von Big Sur. Einen Vorgeschmack gab uns das Naturschutzgebiet mit seinen traurigen Stränden, blauenBergen und dem weltberühmten Bild eines windgeschüttelten Felsenbaums, des legendären Lone Cypress Tree, an einemmärchenhaften Felsen im Point Lobos State Park. Als alle Fotoaufnahmen und Videos gemacht waren, fuhren wir in einHotel nach Carmel, wo das wichtigste Möbelstück in der Suite wiederum der Fernseher und sein wuchtiger Schrankwaren.
Kurz vor Schließung der Schalter in diesem zauberhaften Kurstädtchen liefen wir noch Freitagnachmittag schnell
auf die Bank, um unsere Travelers-Checks in Geld einzutauschen. Hier in der Bank erlebte ich eine weitere amerikanischeSpezialität: meine Unterschrift und mein Reisepass reichten nicht, um einen Scheck von 20 Dollar einzutauschen. Die jungeBankerin verlangte auch meinen Daumenabdruck, den ich nach einem heftigen Streit abgeben musste. Jetzt hatten dieSchnüffler in Amerikas State Department meinen Daumenabdruck in ihrer Sammlung.
Wir spazierten durch die beiden Hälften des Stadtzentrums, das aus Holz gebauten amerikanischen Datschas
bestand, die von außen fast überall kalvinistisch streng und etwas schäbig aussehen. Bei näherer Untersuchung entpuppensie sich aber als toll ausgestattete Banken, Supermärkte, Trend-Läden und Restaurants. Hier schreit die Architektur nichtmit ihrem Pomp, wie in San Francisco, New York oder Berlin; alles ist zurückhaltend und nobel. Viele junge Milliardäreaus dem nahen Silicon-Valley oder Professoren und Unternehmer aus San Francisco haben hier ihren Wohnsitz. Überallstrenge Strände, Wind, Melancholie und eine wunderbare Downtown mit einmaligen Kunstgalerien, Fotoateliers und-studios, Restaurants und zauberhaften italienischen Cafes, wo man nach langer Reise endlich einen richtigen Kaffeetrinken kann und noch ein Gebäckstückchen dazu bekommt. Überall malerische Antiquitäten-Läden mit einem einmaligenSortiment. Durch die Downtown von Carmel kann man wohl einen Monat lang flanieren, ohne dass einem langweiligwürde.
Abends gingen wir ins beste Restaurant von Carmel, das schon proppevoll war, um gut zu essen. Es bestand aus
vielen Räumen mit wenigen Bildern an den Wänden, wahrscheinlich hunderten von Gästen und es herrschte, anders als inden noblen amerikanischen Filmen, ein Geschrei und Tumult, den ich noch nicht erlebt habe. Alle quatschten, alle erzähltenetwas und schrieen und achteten nicht auf die anderen. Der Autobahnlärm war im Vergleich zu diesem Geschrei ein faststummes Winseln. Wir schluckten schnell unser Diner, bezahlten die Rechnung plus obligate 15% Bedienungsaufschlag undgingen schlafen. Am nächsten Tag fuhren wir noch nach Monterey, besuchten seine berühmte malerisch-melancholischeFisherman`s Wharf mit den verwöhnten, fetten Seelöwen, die sich überall sonnten. Wir aßen Krabbensuppe aus einemBrotlaib, kauften Souvenirs und fuhren zurück ins Zentrum von Carmel ins Hotel. Es waren einige sehr schönesonnig-nebelige Tage, die im Gedächtnis blieben.
Unser Geländewagen fuhr weiter nach Norden, nach San Francisco. Die Berge rutschten weiter und tiefer ins
Landinnere, es wurde wieder luftiger, wärmer und sonniger. In einem kleinen Kaff für Wochenendausflüge vor den Torender Stadt, an einer zubetonierten Bucht, machten wir Halt in einem mehrstöckigen hölzernen Motel mit Ozeanblick. Einfelsiger Strand, ein paar Betonhäuser, ein Antiquitätengeschäft und, o Gott, ein mexikanisches Restaurant. Alles anderewar leider schon zu. Aber der Mensch ist schwach: Wir gingen ins Restaurant, wo alles was wir bestellten, nach Dreckschmeckte. Nein-nein, unser Kaffee schmeckte nach Pisse.
Wir rochen die Meeresluft, hörten die Schreie der Möwen und schmeckten das Salz des Ozeans. Der Portier des
Motels, ein Indonesier mit langer, schwuler Mähne quatschte mit seiner besten Freundin am Telefon wohl mindestens eineStunde.
„Jaqueline, ich habe Dir doch gesagt. Du musst jetzt die Laborwerte abwarten. Wieso hast Du ihn nicht nachAIDS gefragt?“
- und so ging diese Leier unendlich weiter. Außer unserem Wagen standen im Hof noch drei PKWs. Eine Familie warauch aus Deutschland, blieb aber sehr zurückhaltend. Wir öffneten die Fenster im Zimmer und gingen im reflektiertenMondschein des Ozeans romantisch schlafen.
Es war der 11. September 2003 und etwa 7°° hiesiger Zeit an der Westküste. Als ich aus dem Bad zurückkam, machte ichden Fernseher an, ohne Ton. Aus irgendwelchen Gründen zeigte man in diesem Kaff auf allen Kanälen den gleichenScience-Fiction-Film: Ein Flugzeug flog in einen Wolkenkratzer, der daraufhin brannte. Ich stellte den Ton lauter, nichtskam, nur ein Standbild mit dem brennenden Wolkenkratzer. CNN, NBC, CBS, ABC, Fox, Private – alle sendeten dasGleiche, sehr bedrohlich, ohne Stimme. Dann kamen die Nachrichten: Kein Science-Fiction, das war ein echter Angriff aufAmerika, auf eine Festung, die so breitbeinig auf der Erde stand, auf freundliche Menschen, die mit 100 km/h bei SanSimeon den Berg hinunterdonnern, die in Silicon Valley neue Computer-Programme entwickeln, Wolkenkratzer bauen, diemächtigste Armee der Welt ihr eigen nennen, Gott und das Geld verehren und in einem wunderschönen Land leben.
Es war der Wahnsinn pur. Die neue Portier-Schicht im Motel weinte. Wir gingen in das Antiquitäten-Geschäft
gegenüber, wo ein dicker freundlicher und mit seinen Nerven völlig kaputter Verkäufer uns einen süßlichen Kaffee anbot. Nach diesem schrecklichen Verbrechen gegen Amerika zeigten sich die Solidarität und die Brüderlichkeit der Menschen. Präsident Bush, der im Fernsehen fast weinte, und seine Familie wurden, wie im Fall eines GAUs vorgesehen, insFlugzeug gesetzt und stundenlang über den Mittelwesten auf einer geheimen Route geflogen. Die amerikanischenAbgeordneten und Senatoren im Fernsehen behielten die Nerven, schlossen sich zusammen und tagten fast ununterbrochenin der Hauptstadt. Ein Land, in dem es an Flaggen wirklich nicht fehlte, wurde vor lauter amerikanischen Fahnen ganz bunt.
Wir fuhren über den schönen Freeway nach San Francisco, eine Perle von Stadt an einer großartigen Bucht und
hörten Radio. Unser Hotel in S.F. war das Commodore, das wie viele amerikanische Hotels von außen hübsch und voninnen weniger hübsch aussah. Und vor allem ohne Air-Condition. Wir spürten jedoch die Vorzüge einer Buchung inDeutschland: Viele Bedienstete sprachen mit uns Deutsch. Die Taxi-Fahrerin, die uns abholte, träumte vom baldigenRentnerdasein am Bodensee. Ihre Jugend hatte sie mit den vielen Events und Partys der Schwulen und Lesben in dieserschönen Stadt hinter sich gelassen. Die wirtschaftliche Lage ist, auch ohne den Angriff auf die Twin-Towers in New York,gleichwohl schwer; sie bekommt kein Gehalt, ist eine Ich-AG und lebt vor allem vom Trinkgeld der deutschen Touristen. Es war höchste Zeit die Rente anzumelden und nach Hause, nach Deutschland, zurückzukehren. Alle in diesem Hotelsprachen Deutsch, der schwarze Portier oder die scheue Inderin, deren Schwester glücklich mit einem Deutschen inEuropa verheiratet zusammenlebte. Eine der Portierfrauen bezeichnete sich selbst als Deutsche, sie sah Deutsch aus:dunkel-blond, burschikos und dick. Deutsch sprechen konnte sie aber nicht: Sobald sie anhob, kam nur einunverständliches Muhen. Trotzdem war sie sehr sicher und quälte uns mit ihrer Hilfe. Zwei Dollar wirkten da Wunder, sieverschwand.
Im Fernsehen lief New York, die Menschen sprangen aus den Fenstern des WTCs, dann brachen beide Türme
zusammen. Es hat sehr wehgetan. Eine große und stolze Nation, die kleinlich meinen Daumenabdruck auf dem Bankcheckin ihre Spitzel-Kartei aufnahm, in einem Land, wo man nicht direkt, sondern nur durch einen Operator und Vermittler inAusland telefonieren kann, der einen in ein langes Gespräch verwickelt. Diese großartige Nation verletzt am Boden zusehen, tat weh. Präsident Bush, der gleich nach dem Angriff auf Amerika fast weinte und für einige Tage verschwand,fasste sich: Er tauchte bei den Aufräumarbeiten in NY auf, sprach der Nation und den Arbeitern Mut zu. Und er war jetztein richtiger amerikanischer Präsident, wie er im Buche steht. Viele Fernsehsendungen diskutierten nur den Angriff, undviele Mitglieder der amerikanisch-islamischen Gemeinden diskutierten mit. Die sahen alles aber anders: Sie hatten vielMitleid mit sich und ihren eigenen Angehörigen, die es jetzt in USA so schwer hätten. Es war eine völlig andere Rezeptiondes Geschehens; man drehte sich in zwei parallelen Kreisen, die nicht zusammenfanden.
Wir fuhren und gingen durch die wunderschöne Stadt San Francisco, an einer riesigen Bucht gelegen. Wir nahmen denCable Train über die Hügel zum Hafen und zur Fisherman`s Wharf, aßen dort mal wieder das vermeintlich bretonische
Krabbenfleischgericht in einem ausgehöhlten Brotlaib. Wir saßen auf dem Balkon, aßen abermals Krabben und schautenauf das Gefängnis der Insel Alcatraz, wo heute keiner mehr einsitzt. Alles sehr schön, ohne die schreckliche Hitze von LAund alles sehr teuer. Dann fuhren wir in die Nationalparks. Erst in den Yosemite National Park, einer der ältesten der amerikanischenNationalparks, berühmt geworden durch die bizarren und eigenartigen Fotos von Ansel Adams. Unterwegs Felder mitriesigen Windmühlen auf den Anhöhen aus der Anfangszeit der Ökobewegung, die wir aus amerikanischen Filmen kannten;eine Wüste, die ununterbrochen bearbeitet wird, und letztendlich fuhren wir in den Yosemite hinein. Dort kann man mitdem PKW über asphaltierte Wege fahren. In Europa würden die Naturschützer auf die Barrikaden gehen, hier aber fahrenalle ruhig herum oder gehen auch weit weg von der Zivilisation in den Wald, wo sie zelten, fischen, Feuerchen machen undab und zu den Yosemite vor lauter Naturliebe abbrennen lassen. Wahrheitsgemäß muss man zugeben, dass sich dieasphaltierten Straßen hauptsächlich im Eingangsbereich des Parks bei den Verwaltungs- und Touristikgebäuden befinden. Obwohl einer der kleinsten Nationalparks, ist er doch riesig und ein Paradies für Naturfreunde und Liebhaberausgedehnter Wanderungen. Man sagt, dass die riesigen Mammutbäume, die Redtrees dort wachsen, aber wir hatten am Bummelplatz derTouristen keine gesehen, darum fuhren wir nach ein paar Tagen über die Goldene Buchtbrücke weiter nach Norden, zumMuir National Park. Und wirklich, da standen die tausendjährigen und über 100 Meter hohen Giganten in Hülle und Fülle. Es gab dort auch Asphaltwege, aber mit PKWs, wie im Yosemite, kann man dort nicht fahren. Unterwegs, zurück zumHotel, machte der Bus eine Pause in Sausalito, das irgendwie ein wenig wie Freijus oder ein Mini-Cannes an der Cote d’Azur aussah. Durch den Nebel über der Bucht sahen wir die Insel Alcatraz. Im dem italienischen Café bedientenausschließlich Latinos. Ein entzückend lächelndes Latino-Mädchen mit riesigem Mondgesicht kam an die Bar. DerTeenager wollte kein Nachschlag von dem kostenlosen Kaffee, sondern bat mehrmals nur um ein wenig Sahne. Der Hinternvon diesem zauberhaften Kind fing irgendwo unter den Achseln an und endete in den Kniekehlen. Die mexikanischenMamas, die auch am Tisch saßen und selbst offensichtlich in der Freizeit außerhalb eines Vereins und unangemeldetSumo-Kampf betrieben, schauten sehr zufrieden zu. Man hatte dem Kind offensichtlich niemals gesagt, dass man zwischenden Mahlzeiten ab und zu Pausen machen musste. Der russische Taxifahrer Sergej von der Krim, der uns auf unserer letztenprivaten Tour auch zur Lambert-Street fuhr, der hügeligen und von Blumen gesäumten Zickzack-Straße, die auszahlreichen Filmen bekannt ist, und uns dann zu einem wunderschönen japanischen Garten brachte, hörte unsereSchilderung und sagte:
„Verstehst Du, hier in Amerika gibt es Freiheit. Wer will, frisst wie bescheuert; wer will, hungert. Das ist nichtRussland, jeder kann dick werden. Freiheit eben.“
Bereichert durch die einfachen Weisheiten eines Immigranten, der in seinen Monologen immer wieder drohte, aus dieserStadt irgendwann auf die Krim zurückkehren zu wollen, fuhren wir zurück ins Hotel.
Abends flogen wir nach New York, es gab viel Alarm, viel Sicherheit und noch mehr Nervosität. Das Flugzeug flog durchdie Nacht, über mehrere Zeitzonen und nach sieben Stunden Flug kreisten wir über der Stadt der Städte und landetenwieder in Newark. Wir hatten Glück: Unser Flug nach Frankfurt wurde um einen Tag verschoben und die Airline stellteuns ein Hotel zu Verfügung. Es war aus unerklärlichen Gründen die schmutzigste und dreckigste Absteige der eigentlichsehr bürgerlichen Howard Johnson’s Gesellschaft, die ich auf unserer ganzen Reise gesehen habe. Die Toilettenschüsselund der Teppichboden waren natürlich voll, entweder mit Wasser oder Urin. Wir standen am nächsten Tag früh auf undentdeckten, dass viele sehr elegante Flieger-Crews in diesem Dreckschuppen übernachteten und trotzdem zufriedenaussahen. Ein Bus brachte uns nach Manhattan, die Reise dauerte fast eine Stunde und wir landeten im herrlichrekonstruierten Palast von Grand Central Station, von wo kaum Züge irgendwohin fuhren, nur der Name war geblieben. Alles sah prächtig aus, überall Cafés, Restaurants und Boutiquen. Als wir auf die Straße kamen, waren wir schnell auf der 5. Avenue, die auch nicht so berauschend aussah, wie ich esmir vorgestellt hatte: Ein Haufen Supermärkte und Geschäfte und nicht so große Haufen an Menschenmassen auf derStraße. An der 47. Straße lag der Diamond District mit vielen fantastischen Juwelier-Geschäften und Berger’s Deli,einem jüdisches Kult-Lokal, wo es aber scheinbar kein rein koscheres Essen mehr gab. Man sagt, dass in der 47. Straßeetwa 80% der amerikanischen Edelstein-Umsätze überwiegend von orthodoxen Juden realisiert werden. Wir aßen dort undplauderten mit der forschen Kellnerin Joyce über das grausame Attentat, die zusammengefallenen Twin-Towers des WTC,ihre Tochter, uns und unsere Kinder, über Gott und die Welt. Die Latino-Bedienung hinter den Tresen trug allesamt roteBaseball-Kappen mit dem Aufschrift Hebrew National. Wie sich später herausstellte, war dies die Werbung für einejüdische Hot-Dog-Kette in New York. Der Terroranschlag eine Woche zuvor hatte Lower Manhattan in Schutt und Aschegelegt und den kleineren Wolkenkratzer der Deutschen Bank in unmittelbarer Nachbarschaft aufgespalten. Aber kein nochso schrecklicher Anschlag konnte die New Yorker mit ihrem Lebensmut und Optimismus aus ihrem Leben und ihrerRoutine rauswerfen; sie gingen ihren gewohnten Beschäftigungen nach, sie ließen sich nicht runterkriegen. Und BergersDeli servierte ihren Kunden weiterhin leckere Delikatessen. Dann verabschiedeten wir uns und gingen zurück auf die 5. Avenue.
Wir nahmen ein Taxi mit einem koreanischen Fahrer und das war ein Fehler. Der Fond der New Yorker Taxis ist
anders als in deutschen PKWs, er stammt noch aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert und ist ein Marterinstrument vonhoher Effizienz. Dafür sind diese Taxis in Vergleich zu unseren sehr preiswert. Der Koreaner erzählte uns, dass er Studentder BWL sei, aber er war kein toller Sergej aus San Francisco, er kannte seine eigene Stadt, den Big Apple, nicht. Wirbegingen einen weiteren schrecklichen Fehler und ließen uns aus Manhattan wegbringen. Wir wollten zu den Ruinen derZwillingstürme, aber man ließ uns nicht dorthin: Überall wurde Sicherheit sehr groß geschrieben. Wir standen lange imStau an den Brücken zu Brooklin und sahen von weitem die Freiheitsstatue. Am Ende irrten wir nur noch mit unseremTaxifahrer irgendwo durch die Wälder von New Jersey. Der Koreaner hatte angeblich völlig die Orientierung verloren,aber nette Autofahrer in vielen Staus zeigten ihm den Weg zum Flughafen. Wir schafften es, um 130 Dollars ärmer, imletzten Moment nach Newark und bekamen noch unseren Flieger nach Deutschland. Eine andere, bleierne und schreckliche neue Zeit des globalen islamistischen Terrors begann jetzt. In Frankfurtregnete es ein wenig, unser Wagen wartete in der Tiefgarage. Wir fuhren nach Hause, nach Saarbrücken, und konnten nochnicht glauben, als Flüchtlinge aus dem zerbombtem New York heil aus dem Urlaub zurück zu kommen. Später erfuhr ichdann, dass die Airline, die uns so gut gefallen hatte, wegen des 11. Septembers bald den Konkurs anmelden musste und einausgerasteter und psychopathischer Amerikaner einen Sikh, den er für einen Moslem hielt, auf der Straße erschoss. Vorbereitung für die Publikation von Wolfgang Peters, Verlag Aschkenas, Saarbrücken
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